Die Ritter des Nordens
meinem Geist verdrängen konnte. Wenn ich die Augen schloss, sah ich die Glut der Feuersbrunst, die dunklen Rauchwolken und die Gesichter der Todgeweihten vor mir, von denen ich so viele gut gekannt hatte; hörte die Schreie um Hilfe, die nicht kam. Mir war, als ob ich ihr grausames Schicksal selbst durchlebte.
Ziellos streifte ich umher.
Ein Teil von mir wollte diesen Ort des Grauens so schnell wie möglich hinter sich lassen. Andererseits konnte ich mir einfach nicht vorstellen, den einzigen Ort zu verlassen, der mir je Heimat gewesen war. Also blieb ich. Wohin hätte ich auch gehen sollen?
Immer noch völlig aufgelöst stolperte ich von einer niedergebrannten Hütte zur nächsten und rief immer wieder, in der Hoffnung, inmitten der Trümmer doch noch irgendwo Leben anzutreffen. Irgendjemand musste doch überlebt haben. Earnford hatte mehr als vierzig Seelen gezählt, doch so viele Tote hatte ich auf dem Gelände bisher nicht entdeckt. Also war Leofrun vielleicht noch am Leben, befand sich in Sicherheit. Allerdings hatte ich keine Ahnung, wo ich nach ihr suchen sollte. Zugegeben, eine recht vage Hoffnung. Denn nach Lange der Dinge sprach mehr dafür, dass die Feinde sie und die anderen Frauen mitgenommen hatten und dass irgendein Kerl sie für sich beansprucht, sie in seinen Besitz gebracht hatte. Nicht einmal denken mochte ich daran.
Ich verspürte keinen Hunger mehr. Selbst wenn ich in den Ruinen noch etwas Essbares gefunden hätte, hätte ich es nicht heruntergebracht. Ich wollte nur noch eines: schlafen, aus dieser Welt entfliehen, wenigstens für ein paar Stunden, um danach wieder in jener anderen Welt aufzuwachen, die ich kannte, einer Welt, die so war, wie sie eigentlich hätte sein sollen. Eine vergebliche Hoffnung.
So vergingen Stunden. Wind kam auf, am Himmel zogen dunkle Regenwolken auf, und ich musste Ausschau nach einem Platz halten, wo ich mich unterstellen konnte. Der lange Viehstall unten am Fluss war das einzige Gebäude, von dem wenigstens noch Teile standen. Das Feuer hatte nur das Dachstroh und eine Mauerecke zerstört, es waren sogar noch ein paar Dachbalken unversehrt geblieben. Dort konnte ich fürs Erste Zuflucht suchen. Eine Notlösung zwar, aber besser als gar nichts. Also machte ich mich auf den Weg dorthin, vorbei am Fischweiher und dem Schafspferch. Als ich die Bienenstöcke erreicht hatte, sah ich hinten bei der Mühle eine Bewegung: eine stämmige Gestalt, die ein graues Pferd am Zügel führte. Wahrscheinlich ein Plünderer, der zurückgekommen war, um nachzusehen, ob es hier noch etwas zu holen gab. Offenbar hatte mich der Fremde ebenfalls entdeckt, denn er blieb plötzlich stehen.
»Hey«, brüllte ich mit heiserer Stimme und rannte winkend in seine Richtung. »Ihr habt alle umgebracht, aber ich bin noch am Leben. Los, stell dich zum Kampf, wenn du ein Mann bist!«
Wie konnte ich nur so ein dummes Zeug reden, zumal ich unbewaffnet war? Aber das war mir jetzt egal. Alles, was ich besessen hatte, war zerstört. Wozu sollte ich da noch weiterleben? Sollte der Kerl mich doch umbringen. Zumal ich es nicht einmal geschafft hatte, die Menschen zu verteidigen, denen ich hoch und heilig meinen Schutz gelobt hatte. Schon allein deswegen hatte ich den Tod verdient. Dennoch hoffte ich, dass er mich wenigstens schnell erledigen und nicht unnötig quälen würde.
»Du und deine Leute – was habt ihr hier bloß angerichtet!«, schrie ich. »Ihr Bestien, ihr Hurensöhne – Ihr seid ja keine Menschen, ihr seid Tiere!«
Der Mann ließ sein Pferd am Rand des Mühlteichs stehen, wo es Wasser trank, und kam näher. Ob es an meiner Erschöpfung und dem Hunger lag oder an meiner tiefen Verzweiflung, weiß ich nicht mehr, jedenfalls erlitt ich in dem Moment einen Schwächeanfall. Schwarze Punkte tanzten mir vor den Augen, und sooft ich auch blinzelte, sie verschwanden nicht. Mir war eiskalt, mein Körper war wie betäubt und kam mir ganz fremd vor. Ich atmete tief ein, versuchte mich zu beruhigen. Währenddessen kam der Mann und mit ihm mein Verhängnis immer näher, dennoch war ich fest entschlossen, nicht wie ein Feigling, sondern mit erhobenem Kopf zu sterben.
Aber es nützte nichts. Plötzlich gaben meine Beine nach. Sie hatten mich von Mathrafal sicher nach Hause getragen: über Berge und Täler, durch Moore und Sümpfe, Wälder und über Felder, durch Flüsse und endlose Weiten. Doch jetzt versagten sie.
Der Mann war nun keinen Speerwurf mehr von mir entfernt, sein Umhang flatterte im
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