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Die Ritter des Nordens

Die Ritter des Nordens

Titel: Die Ritter des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Aitcheson
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angeblich hatte Gott sie mir aus einem bestimmten Grund weggenommen, der sich jedoch mit menschlichen Maßstäben nicht begreifen ließ. Ein schwacher Trost. Und das sagte ich dem Priester auch, und noch einiges mehr. Er übte sich mir gegenüber in Geduld, wie er es immer tat, und erklärte mir, dass die Zeit auch diese Wunde heilen und ich am Ende der Tage mit Leofrun in der Herrlichkeit Gottes wiedervereint würde.
    Doch so aufrichtig seine Worte auch gemeint waren, meinen Kummer vermochten sie nicht zu lindern. So viele Menschen, die mir nahegestanden hatten, waren gestorben: Männer und Frauen, von denen viele noch hätten am Leben sein können, wenn ich nicht gewesen wäre. Und fast schien es, als ob die Liste dieser Menschen jeden Tag noch länger wurde.
    Als dann der Abend hereinbrach und das Lagerfeuer brannte, kehrte meine Entschlossenheit plötzlich zurück. Auch wenn Bleddyn und Eadric und ihre Leute nicht für Leofruns Tod verantwortlich waren, so hatten sie mir dennoch alles andere entrissen. Denn sie hatten mich nicht nur meines Kettenpanzers und meines Schwertes und damit zugleich meiner Würde beraubt, sondern dazu noch meine Kameraden erschlagen und mein Haus niedergebrannt. Und ich hatte nicht die Absicht, ihnen dieses Unrecht zu verzeihen.
    Ædda hatte die anderen Männer angewiesen, große Äste an zwei mächtige Eichen zu lehnen und mit Farnkraut abzudecken; die behelfsmäßigen Unterstände, die so entstanden waren, boten einen gewissen Schutz vor Regen und Wind. Beorn und Nothmund blieben am Feuer sitzen und hielten Wache, während sich meine Schutzbefohlenen auf den steinigen Boden legten und versuchten zu schlafen. Ich selbst blieb wach und zerbrach mir den Kopf darüber, wie es am nächsten Morgen mit uns weitergehen sollte und wie ich meine Feinde in Angst und Schrecken versetzen und ihnen heimzahlen konnte, was sie mir angetan hatten.
    Sobald die Vögel morgens zu singen anfingen, brachen wir auf: acht Männer, fünf Frauen, sechs Kinder, ein Priester, drei Pferde und ich. Dieses versprengte Häuflein war alles, was von dem einst so stolzen Rittergut Earnford übrig geblieben war.
    Unterwegs berichtete ich den anderen, was ich seit meiner Abreise alles erlebt hatte. Ich erzählte ihnen von unserem Vorstoß über die Grenze, von der Schlacht in Mechain, von unserem Rückzug aus Wales und unserem heimlichen Abzug aus Scrobbesburh. Ich erzählte ihnen, wie Bleddyn mich gefangen hatte und wie mir die Flucht gelungen war. Doch es gab auch Dinge, die ich für mich behielt: zum Teil, weil ich mich nicht mehr an alles genau erinnerte, zum Teil aber auch, weil mir das Verhalten, das ich in bestimmten Situationen an den Tag gelegt hatte, inzwischen peinlich war. Zu den Dingen, deren ich mich schämte, gehörte auch mein Streit mit Berengar. Wie kleinlich das alles plötzlich erschien, nach allem, was danach geschehen war.
    Als wir nicht mehr weit von Earnford entfernt waren, bat ich die anderen zu warten, während ich mit Ædda auf den beiden Zeltern weiterritt, die er zusammen mit einem meiner Hengste aus dem Stall hatte retten können. Der Anblick der niedergebrannten Gebäude und der Verwesungsgeruch waren auch an diesem Morgen noch genauso bedrückend wie am Vortag. Wir machten einen kleinen Bogen um die Stätte des Grauens, und ich hielt den Blick die ganze Zeit auf den Read Dun vor uns und auf den Weg gerichtet, der auf den Hügel hinaufführte. Krähen flogen krächzend auf, schaukelten über uns in der Luft und beobachteten uns mit ihren dunklen Augen.
    »Mir ist nicht wohl bei der Sache«, sagte Ædda und bekreuzigte sich, als wir den Hügel hinaufritten. »Das ist kein guter Ort hier, Mylord. Was haben wir hier zu suchen?«
    »Du weißt doch, warum wir hier sind«, erwiderte ich. »Bevor wir diesen Ort verlassen können, müssen wir holen, weshalb wir hier heraufgekommen sind.«
    Trotz der leisen Proteste des Engländers sprach ich während des steilen Aufstiegs und auch auf dem Weg den Hügelkamm entlang kein Wort mehr. Schließlich erreichten wir die sorgfältig arrangierten Steine, die hier über das Tal wachten. Es dauerte ein wenig, bis ich in dem hohen Gras den kleinsten gefunden hatte. Ich schob die Hand durch die schmale Rinne an seiner Unterseite, hob ihn mit Hilfe des Engländers hoch und kippte ihn zur Seite.
    Ich war ungemein erleichtert, als ich feststellte, dass die Waliser meinen Schatz nicht entdeckt hatten. Alles war noch genau so, wie ich es hier zurückgelassen

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