Die Ritter des Nordens
Einschätzung hätten wir König Guillaume eigentlich schon vor Tagen einholen müssen, aber er hat offenbar mehrere Eilmärsche eingelegt, sonst hätte er nicht unterwegs auch noch die Waliser bei Stæfford schlagen können.«
Aus dem Umfeld des Königs war zu vernehmen, dass dessen Laune katastrophal sei – je länger uns der Feind am Yr aufhielt, und je bedrohlicher sich die Dinge weiter nördlich entwickelten, umso mehr verfinsterte sich auch seine Stimmung. Das ging so weit, dass er gegenüber seinen Bediensteten sogar gewalttätig wurde. So hatte er etwa einen Mann namens Fulbert, der angeregt hatte, König Sven durch Zahlung eines Lösegelds zum Verlassen des Landes zu bewegen, durch einen Schlag auf den Kopf so schwer verletzt, dass der arme Mann gestorben war. Dabei war bekannt, dass die Dänen Gold und Silber sogar noch höher schätzten als den Blutrausch der Schlacht. Und nichts konnte sie mehr beglücken, als wenn ihnen solche Reichtümer in den Schoß fielen, ohne dass sie dafür das Schwert ziehen und ihr Leben riskieren mussten.
Der unglückliche Fulbert hatte das Thema zwar als Erster angesprochen, war aber beileibe nicht der Einzige gewesen, der so dachte. Denn obwohl mittlerweile der Oktober ins Land gezogen war, hatten unsere Späher immer noch keine Stelle gefunden, an der wir sicher auf die andere Seite des Flusses gelangen konnten. Deshalb befürworteten inzwischen viele Edelleute Fulberts Vorschlag. Denn wenn es uns gelang, die Dänen durch die Zahlung eines Lösegelds noch vor Einbruch des Winters zum Abzug zu bewegen, würde der Ætheling ohne Verbündete dastehen und sich notgedrungen wieder in die Moore und Sümpfe nördlich von Dunholm zurückziehen müssen. Doch der König wollte seine Feinde auch hier genauso vernichtend schlagen, wie er den Usurpator Harold bei Hæstinges geschlagen hatte, und lehnte den Vorschlag daher rundheraus ab. Und so warteten wir weitere zwei Wochen darauf, dass unsere Kundschafter weiter flussaufwärts endlich eine Furt ausfindig machten, an der wir den Fluss mit dem ganzen Heer durchqueren konnten. Dabei war die Jahreszeit für ein solches militärisches Manöver eigentlich schon zu weit fortgeschritten. Denn inzwischen lagen bereits Nebelschwaden über dem Land, die Bäume warfen das Laub ab, und es wurde von Tag zu Tag kälter. Deshalb zeigten sich die Lords allmählich besorgt wegen der Unruhen im Süden, die auch ihre eigenen Güter bedrohten. Außerdem dachten sie daran, dass die Zeit gekommen war, Brennholz für den Winter zu beschaffen und die Tiere zu schlachten, deren Fleisch sie in den dunklen Monaten essen wollten.
»Wäre es nicht klüger, den Feinden Eoferwic und Northumbria fürs Erste einfach zu überlassen?«, sagte Galfrid eines Tages, als wir wieder einmal unterwegs waren, um Proviant zu beschaffen. »Sollen sie doch den Winter dort verbringen, und wenn dann im Frühjahr im Süden wieder Ruhe eingekehrt ist, können wir mit einem größeren Heer wiederkommen und sie vertreiben.«
»Das würde ich an deiner Stelle lieber nicht so laut sagen, wenn dir dein Kopf lieb ist«, erwiderte ich. »England gehört König Guillaume, und zwar ganz allein.«
Obwohl Galfrids Auffassung vieles für sich hatte, grenzte es an Hochverrat, so etwas zu äußern. Sollte der König je erfahren, dass es Leute gab, die dafür plädierten, einen Teil des Reiches an Heiden und Rebellen abzutreten, würde er gewiss nicht zögern, auf der Stelle deren Kopf zu fordern.
Gottlob sprach Galfrid nicht mehr über das Thema. Ich hatte inzwischen eine bessere Meinung von ihm und war erstaunt, wie geschickt er das Schwert zu führen verstand, wie sich in unseren Übungsstunden immer wieder zeigte. Allerdings neigte er weiterhin dazu, sich selbst zu überschätzen, und musste noch lernen, seine Impulse besser zu beherrschen, wenn er überleben wollte.
Und dafür blieb ihm nicht mehr viel Zeit, denn er würde schon bald auf dem Schlachtfeld stehen. Als wir abends mit drei Wagenladungen Proviant ins Lager zurückkehrten, erfuhren wir dort als Erstes, dass ein Lord namens Lisois einige Meilen westlich und stromaufwärts eine Stelle entdeckt hatte, die zur Querung des Flusses geeignet war. Ungefähr hundert Männer der fyrd aus der Grafschaft Eoferwic hatten versucht, ihm und seinen Rittern den Zugang zum anderen Ufer zu verwehren, doch er hatte viele von ihnen getötet und die übrigen vertrieben. Während wir durchs Lager ritten, sahen wir zahlreiche Männer, die ihre
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