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Die Ritter des Nordens

Die Ritter des Nordens

Titel: Die Ritter des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Aitcheson
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zwischen den bereits herbstlich verfärbten Bäumen auf, und ich sah, dass sich zwischen den Stämmen und dem leise herabrieselnden Herbstlaub etwas bewegte. Die Sonne stand schon tief am Himmel, deshalb war ich nicht ganz sicher, ob ich wirklich einen Reiter gesehen oder mir das nur eingebildet hatte.
    »Ganz schön verwegen, das muss man dem Mann lassen«, sagte Wace. Tatsächlich hatte der Späher kaum Deckung und war so nahe an unserem Lager, dass er fast in die Kochtöpfe schauen konnte, die dort über den Feuern hingen.
    »Was glaubst du, wie lange er sich dort schon versteckt hält?«
    »Vermutlich schon den ganzen Tag. Wahrscheinlich ist er in aller Herrgottsfrühe gekommen und wartet jetzt, bis es wieder dunkel wird, um dann wieder zu verschwinden.«
    Der Mann hatte uns entweder nicht bemerkt, oder aber er sah in uns keine Bedrohung, sonst hätte er es gewiss nicht gewagt, sich dem Lager so dicht zu nähern. Trotzdem mussten wir ihn ja nicht unbedingt auf uns aufmerksam machen. Also taten wir so, als ob wir ihn nicht wahrgenommen hätten, wendeten die Pferde und gaben vor, wie auf einer Routinepatrouille am Ufer zurückzureiten. Doch sobald wir außer Sicht waren, verließen wir das Ufer und machten einen großen Halbkreis, bis wir den Weg erreichten, den der Mann mit hoher Wahrscheinlichkeit für den Heimweg benutzen musste.
    Dort versteckten wir uns und warteten.
    Die Sonne war mittlerweile längst untergegangen, am Himmel gingen die Sterne auf, und wir warteten immer noch. Ich wurde immer ungeduldiger und wollte schon aufgeben, weil ich dachte, dass der Mann es irgendwie geschafft haben musste, sich unbemerkt davonzumachen, als ich ein galoppierendes Pferd hörte und dann einen Reiter sah. Sein Umhang bauschte sich im Wind, und er hielt direkt auf uns zu.
    Wace und ich hatten uns rechts und links des Weges im Gebüsch versteckt und verhielten uns völlig still. Die Pferde hatten wir ein Stück entfernt an einer Stelle festgemacht, wo sie nicht so leicht zu entdecken waren. Ich zog leise das Schwert aus der Scheide und wagte es nicht, den Kopf zu heben, um von dem Reiter ja nicht bemerkt zu werden. So kam das galoppierende Pferd immer näher, bis es uns fast erreicht hatte …
    »Jetzt!«, brüllte ich. Wace und ich sprangen gleichzeitig auf. Ich nahm das Schwert in beide Hände und schwang es gegen das heranstürmende Pferd. Der Reiter hatte keine Zeit mehr auszuweichen oder gar zu stoppen. Im nächsten Augenblick traf mein Schwert ein Vorderbein des Tieres knapp unterhalb des Rumpfes und durchtrennte dabei Sehnen und Knochen. Mit einem lauten Schrei ging das Tier zu Boden. Seine verdrehten Augen leuchteten schneeweiß in der Dunkelheit; es konnte nicht mehr aufstehen und wälzte sich verzweifelt am Boden; es brach immer wieder in ängstliches Wiehern aus und verlor große Mengen Blut. Wace schnappte sich währenddessen den völlig überraschten Reiter, zog ihm das Messer aus der Scheide und schleuderte es weit weg. Der völlig konsternierte Reiter stieß einen Schrei aus und versuchte, sich freizumachen, doch Wace war ihm körperlich deutlich überlegen und warf ihn einfach bäuchlings zu Boden.
    »Schnauze!«, fuhr er den Späher an, der wimmernd am Boden lag. Ob der Mann betete oder um Gnade flehte, war schwer zu beurteilen, da er so leise und so schnell sprach, dass ich ihn nicht verstehen konnte.
    Ich ließ mich direkt neben ihm auf die Knie nieder und beugte mich so tief zu ihm herunter, dass er im Mondlicht mein Gesicht und mein Schwert sehen konnte. Seine Augen weiteten sich, und er verstummte. Er musste nach meiner Schätzung etwa achtzehn Jahre alt sein, hatte also ungefähr Turolds Alter – und auch dessen Statur.
    »Sprichst du Französisch?«, fragte ich ihn, während ich mir darüber klarzuwerden versuchte, ob ich es mit einem der Männer des Æthelings oder mit einem Dänen zu tun hatte. Die meisten Männer in Northumbria hatten nämlich die gleiche Frisur wie die Dänen: Beide trugen das Haar lang. Tatsächlich waren die Bewohner beider Länder so eng miteinander verwandt, dass man sie häufig kaum unterscheiden konnte.
    Als er mir keine Antwort gab, versuchte ich es auf Englisch. »In wessen Diensten stehst du?«
    »Eadgar«, sagte er zitternd. »Ich stehe in König Eadgars Diensten.«
    Im ersten Augenblick war ich über die Antwort verblüfft. Ich wusste zwar, dass der Ætheling sich selbst zum Herrscher dieses Landes ausgerufen hatte, allerdings hatte ich bis dahin noch nie gehört,

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