Die Ritter des Nordens
andere Dinge im Kopf. Sie fürchteten, dass draußen vor der Stadt schon Hundert- oder gar Tausendschaften normannischer Krieger auf sie warteten, deshalb interessierte sich kein Mensch für zehn Fremde, von denen die meisten auch noch genauso gekleidet und bewaffnet waren wie sie selbst. Denn auch meine Begleiter hatten ihre Kettenpanzer und Drachenschilde in Eoferwic zurückgelassen und stattdessen leichte Lederrüstungen angelegt und Rundschilde mitgebracht, die sich wegen ihres geringeren Gewichts leichter führen ließen.
Tatsächlich waren wir nicht als Normannen zu erkennen. Die Dänen, die uns entgegenkamen, nahmen wahrscheinlich an, dass wir zu Eadgars Männern gehörten, während die Engländer uns vermutlich für Söldner des dänischen Königs oder für flämische oder friesische Abenteurer und Freibeuter hielten, von denen sich ihnen eine Flotte angeschlossen hatte. Eine komische Vorstellung. Ich musste fast grinsen. Allerdings nur beinahe. Denn ich war mir nur zu deutlich der Gefahr bewusst, in der wir schwebten, wusste nur zu gut, wie gering unsere Chance war, mit heiler Haut davonzukommen, falls uns jemand auf die Schliche kam.
»Wo finden wir sie?«, fragte ich Runstan, als die brennenden Schiffe und der allgemeine Aufruhr weit genug hinter uns lagen. Wir standen gerade – die Klingen stets griffbereit – hinter einem langgestreckten Lagerhaus, das nach Fisch stank. Von dieser Stelle aus waren sämtliche wichtigen Verbindungswege in der Stadt leicht zu überblicken. Vor uns lag das Kloster, und auf der Anhöhe weiter westlich waren die großen Hallen zu erkennen. An einer Stelle fehlten mehrere Häuser. Die Feinde hatten sie abgerissen, weil sie das Holz gebraucht hatten, um die Befestigungen und die Palisaden zu verstärken.
»Das weiß ich nicht, Mylord«, erwiderte der Engländer.
Ich starrte ihn an. »Das weißt du nicht?«
Da hatten wir ihn nun den ganzen Weg mitgeschleppt, weil er sich in der Stadt auskannte, und ich hatte mich darauf verlassen, dass er uns genau sagen konnte, wo Robert und die anderen Geiseln festgehalten wurden.
»Wenigstens nicht genau«, korrigierte er sich eilig, weil er wohl begriff, dass er uns nur im Weg war, wenn er uns nicht mehr behilflich sein konnte. »Die beiden Könige haben ihr Quartier im Kloster eingerichtet. Und dort werden gewiss auch Eure Freunde festgehalten. Doch in welchem Gebäude, kann ich Euch nicht sagen.«
Die meisten Klöster waren weitläufige Anlagen, und ich wollte nicht die ganze Nacht damit verbringen, irgendwelche Gebäude zu durchsuchen, während an jeder Ecke Feinde auf uns lauerten und jeder falsche Schritt tödlich sein konnte. Trotzdem war diese winzige Information natürlich besser als gar keine. Jedenfalls, solange sie der Wahrheit entsprach.
»Ich kann nur für dich hoffen, dass das wirklich stimmt«, sagte ich zu dem Engländer. »Sollte sich nämlich herausstellen, dass du uns belügst, sorge ich höchstpersönlich dafür, dass du einen qualvollen Tod stirbst.«
Er nickte, blieb aber bei seiner Aussage. Ich konnte nur hoffen, dass er uns nicht in eine Falle lockte.
Wir wollten gerade weitergehen, als in der Nähe laute Stimmen zu hören waren, also glitten wir wieder in die Schatten zwischen dem Lagerhaus und den Schweinepferchen auf dessen Rückseite. Wir hatten uns kaum in Sicherheit gebracht, als ein vielleicht vierzig Mann starker Reitertrupp mit zwei Bannerträgern an der Spitze in Sicht kam. Das erste der beiden Banner war in den Farben von Northumbria violett-gelb gestreift, während auf dem anderen ein fliegender weißer Rabe zu sehen war, der ein Kreuz in den Fängen hielt. Direkt hinter den Bannern ritten zwei Gestalten, die pausenlos Anweisungen gaben. Ich kannte nur einen der beiden Männer, den anderen dagegen nicht. Nach seinem hochmütigen Betragen, den kunstvollen Verzierungen an seinem Schwert und an seinem Schild und dem mit Goldfäden durchwirkten, pelzgefütterten Mantel zu urteilen, konnte er jedoch eigentlich nur der dänische König Sven sein, über den ich schon so viel gehört hatte. Obwohl sein Haar und sein Bart bereits ergraut waren, galt er immer noch als gefährlicher Schwertkämpfer, der in der Schlacht weder einen Schritt zurückwich noch christliche Barmherzigkeit kannte, obwohl er getauft war.
Den anderen Mann dagegen erkannte ich sofort. Er trug einen Helm, dessen glänzende Wangenklappen und vergoldeter Nasenschutz sein Gesicht zwar größtenteils verbargen, trotzdem wusste ich genau,
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