Die Ritter des Nordens
der Nähe der fünf dickbauchigen Lastkähne brannte nämlich ein großes Lagerfeuer, an dem fünf Männer standen und sich die Hände wärmten. Sie hatten das Pech, dass man sie ausgerechnet in dieser frischen Nacht hier draußen zum Wachdienst eingeteilt hatte. Im Übrigen konnten wir von Glück sagen, dass sie nur so wenige waren; mit einem Angriff aus den Sümpfen hatte der Feind offenbar nicht gerechnet.
»Gib mir die«, sagte ich zu Serlo und zeigte auf die Lederflasche, die er bei sich trug. Sonst hatte niemand etwas zu trinken dabei.
Er reichte mir die Flasche mit einem verwunderten Blick. »Aber das ist doch bloß Ale, Mylord«, sagte er, weil er wohl dachte, dass ich etwas Stärkeres brauchte, um mich für die kommenden Ereignisse zu wappnen. Aber ich trank ohnehin fast nie vor der Schlacht. Denn so viel ist klar: Bier und Wein bringt zwar die Angst zum Verschwinden, nebelt aber zugleich den Verstand ein, beeinträchtigt das Reaktionsvermögen und den Gleichgewichtssinn. Deshalb ist es beim Kampf mit dem Schwert eher schädlich als nützlich.
Doch ich hatte ohnehin etwas ganz anderes vor, und das erklärte ich ihnen nun. Ich wies Serlo und Pons an, den englischen Späher zu bewachen; dann bat ich Wace und Eudo, sich mit ihren Leuten auf der anderen Seite der Lastschiffe im Schilf zu verstecken und auf mein Zeichen zu warten.
Sobald die Männer in der Dunkelheit verschwunden waren, zählte ich leise bis hundert und dann wieder rückwärts bis null. Dann stand ich auf und steuerte die Wachen an dem Feuer an. Ob es sich um Dänen oder Engländer handelte, konnte ich aus der Entfernung nicht erkennen. Doch egal. Denn ich konnte wegen meiner langen ungekämmten Haare ohne Weiteres als Engländer durchgehen; die Silberreife wiederum, die ich an den Armen trug, ließen mich ein wenig wie einen Dänen erscheinen. Zugegeben: Lange konnte ich die Männer mit diesen Äußerlichkeiten gewiss nicht hinters Licht führen, zumal der Bluff sofort auffliegen musste, wenn ich den Mund aufmachte. Denn ich sprach kein Wort Dänisch und war auch des Englischen nur sehr eingeschränkt mächtig, obwohl ich mittlerweile schon eine ganze Menge Wörter und Redewendungen kannte. Falls mein hartnäckiges Schweigen die Männer nicht bereits misstrauisch stimmte, würden sie mich spätestens durchschauen, wenn ich den Mund aufmachte. Doch ich hoffte, es würde reichen, um die Wachen so lange zu verwirren, wie es notwendig war.
Bald war ich so nah, dass ich ihre Stimmen hören konnte. Doch sie redeten so leise, dass ich nicht beurteilen konnte, welcher Sprache sie sich bedienten. Trotzdem versuchte ich erst gar nicht, mich zu verstecken, sondern stolzierte mit der Ale-Flasche in der Hand durch den Morast und summte dazu eine undefinierbare Melodie. Gleichzeitig hoffte ich inständig, dass die Männer auf meinen Bluff hereinfallen würden. Andernfalls war ich bereits jetzt so gut wie tot.
Es dauerte nicht lange, bis sich einer der Posten in meine Richtung drehte und laut und vernehmlich rief: »Hwæt eart thu?« – Wer bist du?
So viel Englisch verstand sogar ich. Also Engländer. Was die Ausführung meines Planes womöglich erleichterte.
Ich gab dem Mann keine Antwort, sondern sang nur umso lauter und gab mir Mühe, wie ein Betrunkener zu torkeln. Dabei war ich so auf meine Rolle fixiert, dass ich einen der vielen Wasserläufe übersah, die das Sumpfland ringsum durchzogen. Und so stürzte ich unversehens mit einem lauten Platschen in das eiskalte Wasser.
Im nächsten Augenblick tauchte ich keuchend und innerlich fluchend wieder aus dem Wasser auf, zog mich an Land und sah, dass die Engländer sich vor Lachen bogen. Nun hatte ich ihre Aufmerksamkeit. Ich rappelte mich wieder hoch, bis ich, völlig durchnässt und schlammbeschmiert, wie ich war, vor ihnen stand. Dann hob ich die Faust, als ob ich mich für ihren Applaus bedanken wollte, entkorkte umständlich die Flasche, führte sie zum Mund und trank so gierig, dass mir die Flüssigkeit aus dem Mund lief. Anschließend simulierte ich einen Hustenanfall, beugte mich vornüber und tat so, als ob ich mich erbrach.
Die Belustigung der Männer wich nun aufrichtiger Besorgnis. Tatsächlich taten sie genau, was ich mir erhofft hatte: Sie verließen ihre Posten, um mir zu Hilfe zu eilen. Gleichzeitig bestürmten sie mich mit Fragen und wollten wissen, was ich um diese Tageszeit so weit draußen vor der Stadt und außerhalb des Lagers zu suchen hätte. Das war das Signal für Wace und
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