Die Ritter des Nordens
muss Euch ohnehin etwas mitteilen, und jetzt ist wohl die beste Gelegenheit dazu.«
Er wies auf den Hocker, auf dem ich vor seinem Eintreten gesessen hatte, ging dann zu dem Podium am anderen Ende der Halle und holte sich dort einen Stuhl. Sein Ernst war mir nicht ganz geheuer. Trotzdem tat ich, wie er gesagt hatte, und nahm wieder am Herdfeuer Platz.
»Ihr wolltet von mir wissen, weshalb ich gekommen bin«, fing Robert an. »Und ich räume offen ein, dass ich bisher nicht ganz aufrichtig gewesen bin.«
Das überraschte mich nicht. Wie viele Edelleute gab auch Robert nur dann etwas preis, wenn es unbedingt sein musste. Genau wie sein Vater, dachte ich, wenigstens in diesem Punkt. Wobei sein Vater mit seiner Geheimniskrämerei wesentlich mehr Schaden angerichtet hatte und mit seinen Halbwahrheiten beinahe das gesamte Königreich ruiniert hätte.
»Was soll das heißen?«, fragte ich.
»Ich habe Euch doch von Eadgar und den Rebellen erzählt«, sagte Robert. »Alles, was ich Euch berichtet habe, stimmt auch, wenigstens soweit wir im Bilde sind. Der König hat zwar seine Spione in Northumbria, aber die können natürlich nicht überall gleichzeitig sein. Deshalb sind die Nachrichten, die uns erreichen, oft schon eine Woche alt oder älter.«
»Ihr seid doch nicht etwa gekommen, um mir zu eröffnen, dass ich mit Euch oben im Norden kämpfen soll?«
»Nein«, sagte er. »Aber es gibt noch eine andere, bedrohlichere Entwicklung, über die Ihr Bescheid wissen solltet. Denn auf der anderen Seite des Grenzwalls braut sich gerade etwas zusammen.«
Genau das hatte auch Byrhtwald gesagt, doch bis jetzt hatte ich dem keinen Glauben geschenkt.
»Und weiter?«, sagte ich.
»Zwischen den beiden Völkern, die auf dieser Insel heimisch sind, herrscht seit Jahrhunderten eine tiefe Feindschaft. Die Waliser verübeln es den Engländern nämlich bis heute, dass diese nach dem Abzug der Römer Britannien erobert und ihnen das Land weggenommen haben.«
»Ja, ich weiß, aber …«
»Hört mir zu«, herrschte er mich an. »Seit damals kennen sie nur ein Ziel: Sie wollen das Reich unbedingt zurückerobern. Und so haben sie immer neue Heere aufgestellt, um das Land zu erobern, von dem sie glauben, dass es ihnen gehört. Tatsächlich haben die Könige von Mercia den großen Grenzwall, der westlich von hier verläuft, nur gebaut, um sich die Waliser vom Leib zu halten.«
Vieles von dem, was er mir da erzählte, war mir bereits bekannt. Ich fragte mich, warum er mir das erzählte.
»Und warum ist das so wichtig?«
»Ich erzähle Euch das alles, damit Ihr besser versteht, was ich Euch jetzt mitzuteilen habe«, sagte Robert mit mahnendem Unterton. »Seit der Invasion hat sich die Situation nämlich grundlegend verändert. Ihr wisst ja, dass sämtliche englischen Thane, die den Usurpator bei Hæstinges unterstützt haben, ins Exil gehen mussten und dass König Guillaume ihre Güter eingezogen hat. Viele von denen, die früher einmal hier in der Gegend Ländereien besessen haben, sind aber nicht etwa in den Norden oder über das Meer geflohen, sondern lediglich auf die andere Seite des Grenzwalls. Neuerdings werden sie sogar Vasallen der walisischen Könige, um ihre alten Besitzungen wiederzugewinnen. Das heißt: Beide Völker sind jetzt zum ersten Mal Verbündete.«
»Gibt es unter diesen Thanen einen Mann, der unter dem Namen Eadric der Wilde bekannt ist?«, fragte ich.
»Ja, den gibt es«, erwiderte Robert überrascht. »Habt Ihr schon von ihm gehört?«
»Erst kürzlich.«
»Dann wisst Ihr ja, worauf ich hinauswill«, sagte er. »Wir sind gerade damit beschäftigt, bei Scrobbesburh eine Armee aufzustellen, um gegen den Feind vorzugehen. Ihr müsst Earnford verlassen und mit mir kommen.«
Seine Worte hingen wie Rauch in der Luft. Eigentlich hatte ich mich in den vergangenen Monaten ständig danach gesehnt, endlich wieder meinen Conroi in die Schlacht zu führen. Doch als nun der Ruf meines Königs an mich erging, fühlte ich mich anders, als ich gedacht hatte. Earnford war jetzt mein Zuhause. Earnford war alles, wofür ich so viele Jahre gekämpft hatte: eine eigene Halle, eigene Gefolgsleute, die durch einen Treueschwur an mich gebunden waren. Seit ich das erste Mal in die Schlacht gezogen war, hatte ich mir so ein Leben gewünscht.
»Nein.« Ich stand auf und drehte mich zum Feuer. »Ich kann hier nicht weg. Nicht jetzt.«
»Das habt nicht Ihr zu entscheiden, Tancred.«
Jetzt war die Situation da, auf die mich Ædda schon
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