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Die Ritter des Nordens

Die Ritter des Nordens

Titel: Die Ritter des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Aitcheson
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Earnford zu erkennen: meine von einem Palisadenzaun umgebene Halle, die in einer Flussschleife stand und fast unwirklich aus dem Nebel unten im Tal aufragte. Noch waren die Weiden, die Kirche und die Mühle von weißen Schleiern verhüllt, und auch auf den Heuwiesen und den Viehweiden lag noch Nebel. Wie klein und unbedeutend das alles erscheint, wenn man es von hier oben aus betrachtet, dachte ich.
    Nach dem, was Ædda am Vortag widerfahren war, war es gewiss keine sehr kluge Idee gewesen, allein hier hinaufzureiten. Doch hier oben konnte ich frei in alle Richtungen blicken und selbst im morgendlichen Zwielicht jeden erkennen, der näher kam – ob in freundlicher oder feindlicher Absicht. Im Übrigen hatte ich ja noch mein Schwert und meinen Dolch. Sollte ich es hier oben also mit Feinden zu tun bekommen, würden diese schon bald merken, dass mit mir nicht zu spaßen war.
    Weiter unten im Wald erwachte allmählich die Welt: Dort zwitscherten und tirilierten die Vögel und kündigten den neuen Tag an. Hier oben dagegen war alles noch still. Es war so früh am Tage, dass noch niemand aufgestanden war. Noch war über keinem der Häuser unten im Tal eine Rauchfahne zu sehen. Nirgends eine Bewegung, nicht einmal ein Windhauch. Wohin ich auch blickte, war absolute, fast tödliche Stille.
    Ich saß ab und wühlte in der Satteltasche nach einer Karotte, die ich meinem Pferd gab. Dann legte ich ihm die Fußfesseln an, damit es nicht weglaufen konnte, und ging zu dem vielleicht neun oder zehn Fuß hohen Menhir. Angeblich hatten ihn die Ureinwohner des Landes vor langer Zeit aufgerichtet, also Menschen, die schon vor den Römern – den ersten Eroberern der Insel – hier gewesen waren. Vielleicht handelte es sich um eine Art Grenzmarkierung. Vielleicht markierte er aber auch einen alten Versammlungsort, einen Platz, an dem die Leute früher zusammengekommen waren, um zu feiern und zu tanzen und ihre religiösen Zeremonien zu vollziehen. Father Erchembald behauptete, dass der Teufel selbst diesen Ort geschaffen habe. Deshalb missbilligte er meine Besuche hier oben, wo angeblich böse Mächte wohnten und des Nachts die Geister der Toten arglosen Reisenden auflauerten, um sich von deren Seelen zu nähren. Ich selbst hatte mich hier oben jedoch noch nie bedroht gefühlt. Auch an diesem Morgen herrschte hier wieder ein Friede, wie ich ihn schon seit Längerem nicht mehr erlebt hatte. Außerdem konnte ich die Menschen nur bewundern, die einen so gewaltigen Stein auf diesen Hügel geschleppt hatten.
    Ich ließ die Hand über seine von den Elementen glattgeschliffene Oberfläche gleiten, die sich kalt anfühlte. Doch dann stellte ich fest, dass es in der glatten Oberfläche kleinere Vertiefungen und Unebenheiten gab. Als ich um den Stein herumging, entdeckte ich auf der anderen Seite einen tiefen Spalt, dessen Wände mit grünlicher Flechte ausgekleidet waren. Man hätte meinen können, in eine Eiterwunde zu blicken. Nicht einmal Stein vermochte also der Zeit zu trotzen. Eines Tages würde auch dieser Stein genauso zerfallen wie die Bauwerke und die Städte der Römer. Auch unseren eigenen Burgen mit ihren Wehrtürmen, Gräben und Mauern war dieses Schicksal bestimmt, und sogar den Gewölben der großen Kathedralen, die wir überall im Land errichten ließen.
    Alles ist einmal zu Ende – so lautete die unumstößliche Wahrheit. Und auch meine Zeit in Earnford war nach nur einem Jahr bereits wieder zu Ende. Schon in wenigen Stunden musste ich den wundervollen Besitz verlassen, der mir inzwischen so ans Herz gewachsen war, und ich wusste nicht, ob und wann ich zurückkehren würde.
    Der Gedanke jagte mir einen Schauer über den Rücken, aber ich war nicht hergekommen, um mich in Selbstmitleid zu ergehen. Also raffte ich meinen Umhang enger um die Schultern, ging zu meinem Pferd zurück und schnallte die beiden Satteltaschen ab, die der eigentliche Grund meines Besuchs hier oben waren. Beide waren mit Gold und Silber gefüllt. Einiges davon hatte ich den Walisern abgenommen, die uns vor einiger Zeit überfallen hatten. Den Rest hatte ich durch den Verkauf von Getreide, Fisch und Schurwolle auf den Märkten in der Umgebung und an reisende Händler erwirtschaftet. Alles in allem belief sich der Wert auf ein paar Pfund: kein großes Vermögen, aber trotzdem zu viel, um es ständig bei sich zu tragen. Und sollten die Waliser in meiner Abwesenheit wiederkommen, durfte es ihnen keinesfalls in die Hände fallen. Daher blieb mir keine andere

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