Die Ritter des Nordens
Roberts Männern versammelt hatten. Sie hatten sich die Schilde wie Tabletts auf die Knie gelegt und ließen Flaschen mit Wasser kreisen, das sie aus dem Fluss geholt hatten.
Dann sah ich zwischen all den anderen Männern einen, mit dem ich an diesem Morgen überhaupt nicht gerechnet hatte, den ich jedoch sofort erkannte: einen schlaksigen jungen Mann mit einem hageren Gesicht, kräftigen Augenbrauen und dunklem Haar.
»Eudo!«, sagte ich lachend, als ich meinen alten Freund und Kameraden so unerwartet vor mir sah.
Wir hatten mehr als zehn Jahre unter demselben Herrn gedient, unter demselben Banner und in demselben Gefolge gekämpft. Schulter an Schulter hatten wir im Schildwall gestanden; Knie an Knie waren wir in die Schlacht geritten. Gemeinsam hatten wir so viele Schlachten bestanden, dass ich irgendwann aufgehört hatte, sie zu zählen. Dabei war zwischen uns ein Band entstanden, das enger war als jede Blutsverwandtschaft, ein Band, das nichts und niemand zu zerstören vermochte.
»Wie die Zeit vergeht«, sagte er.
»Allerdings«, pflichtete ich ihm bei. Tatsächlich hatte ich ihn zuletzt im vergangenen Sommer gesehen. Der König hatte damals den Heerbann zur Abwehr einer großen dänischen Flotte einberufen, die angeblich in Richtung England unterwegs gewesen war. Doch letzten Endes war die Flotte, auf die wir schon seit Jahren gewartet hatten, nie auf der Bildfläche erschienen. »Was machst du denn hier?«
»Das Gleiche wie du«, sagte Eudo. »Ich war gerade mit Lord Robert in Hereford, als es hieß, dass die Waliser etwas gegen uns im Schilde führen. Wir sind zwar schon seit vorgestern hier, aber meine Männer und ich hatten letzte Nacht Wachdienst, deshalb habe ich erst heute früh erfahren, dass du hier bist.«
Dann war er also mit Robert vom anderen Ende des Königreichs hergekommen. Wie ich selbst waren auch Eudo und Wace Roberts Vasallen, nur dass er sie im Gegensatz zu mir im fernen Suthfolc mit Lehnsgütern ausgestattet hatte, wo das Land schon in die an das Meer angrenzenden Marschen überging: in einer Gegend also, die ähnlich umkämpft war wie die an Wales angrenzenden Gebiete. Denn an der Küste dort tauchten oft Seeräuber und Plünderer aus den Ländern jenseits des Germanischen Meeres auf.
»Robert hat gar nicht erwähnt, dass du hier bist«, sagte ich.
Eudo zuckte mit den Schultern. »Der hat zurzeit so viel im Kopf, dass er es wohl vergessen hat: zuerst die Gespräche wegen der Verheiratung seiner Schwester Beatrice, und jetzt rüsten auch noch die Waliser zum Angriff. Wusstest du eigentlich schon, dass Lady Beatrice demnächst wieder heiratet?«
»Ja, ich habe davon gehört«, entgegnete ich reservierter, als ich eigentlich wollte.
Doch Eudo bekam davon Gott sei Dank nichts mit. »Komisch, dass es schon wieder über ein Jahr her ist, seit wir damals aus Eoferwic geflohen sind«, sagte er. »Wir zwei und Wace und dann noch die Frauen und Malets Kaplan.«
Damals hatten wir an der Temes gegen Ælfwold und seine gedungenen Krieger gekämpft; er hatte versucht, mich oben auf der Klippe umzubringen und war dabei tödlich abgestürzt. Bis in den Tod war dieser eidbrüchige Mann ein Verräter geblieben. Auch wenn Eudo von alledem nichts erwähnte, wusste ich dennoch, dass er dasselbe dachte wie ich.
»Auch die Schlacht, auch Dunholm, das liegt jetzt alles schon wieder über ein Jahr zurück«, sagte ich.
Während ich noch sprach, bedauerte ich meine Worte schon wieder, denn Eudo verstummte. Dabei war es ganz und gar nicht meine Absicht gewesen, ihm die Stimmung zu verderben. Trotzdem war es fast unmöglich, über die Geschehnisse des vergangenen Jahres zu sprechen, ohne dabei an jene kalte Winternacht zu denken.
Dann brach Eudo das peinliche Schweigen. »Immerhin gibt es uns noch«, sagte er seufzend. »Und bald reiten wir wieder zusammen in den Kampf.«
»Ist Wace eigentlich auch hier?«
»Bis gestern war er es. Dann hat Fitz Osbern ihn nach Ceastre geschickt, damit er Earl Hugues den Einsatzbefehl überbringt.«
»Wenn er sogar den Wolf um Beistand bittet, muss Fitz Osbern sich aber wirklich Sorgen machen«, sagte ich.
»Den Wolf?«
»Hugues Lupus «, erklärte ich. »So wird er hier in den Marken oft genannt. Lupus – das ist Lateinisch und heißt ›der Wolf‹.«
Tatsächlich traf der Name voll ins Schwarze. Hugues d’Avranches, der Earl von Ceastre, war nicht nur weithin für sein ungestümes Temperament bekannt, sondern auch für die Rücksichtslosigkeit, mit der er
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