Die Ritter des Nordens
ist«, sagte Eudo, jetzt wieder etwas zuversichtlicher. »Falls es überhaupt dazu kommt. Außerdem haben wir vorher noch eine Reihe anderer Schlachten zu bestehen.«
Andere Schlachten, andere Feinde. Ich ließ den Blick über die riesige Zeltstadt ringsum schweifen, über all die farbenprächtigen Banner, die im Wind flatterten, die Schafe und Rinder in den Gehegen, die Hühner, die einige Lehnsherren als Proviant für ihre Leute mitgebracht hatten und die aufgeregt hinter den Körnern herrannten, die ihnen gerade in die Käfige geworfen wurden. Ich betrachtete all die Männer ringsum – mit ihren Schwertern und Schilden, ihren Speeren und Helmen, ihren Kettenpanzern –, Männer, die nur darauf brannten, ihren Schwertarm gegen den Feind zu erproben.
Die Streitmacht, die sich inzwischen an diesem Ort versammelt hatte, konnte sich durchaus schon sehen lassen. Außerdem sollten ja in den kommenden Tagen noch Hunderte weiterer Männer dazustoßen, wenn Hugues der Wolf und die übrigen Lehnsherren aus dem Grenzland mit ihren Männern einrücken würden. Während ich den Blick über das Lager schweifen ließ, kamen mir dennoch gewisse Zweifel. Zum ersten Mal war ich mir nicht mehr so sicher, dass wir dem Feind wirklich gewachsen waren.
Neun
•
D as Wetter wurde nun von Tag zu Tag heißer und die Stimmung immer gereizter, und so warteten wir ungeduldig auf Fitz Osberns übrige Lords und auf den Wolf, der zusammen mit Wace von Ceastre aus zu uns stoßen sollte. Männer, die gezwungen sind, untätig herumzusitzen, verlieren leicht die Nerven, und das gilt noch mehr für Krieger. Ich beobachtete in der folgenden Woche, dass die Unruhe im Lager immer mehr zunahm. Fast täglich kam es zu Keilereien: mal am Kai, mal auf den Straßen, mal in einem Gasthaus, mitunter sogar mitten im Lager. Manchmal gerieten Engländer und Normannen aneinander, meist jedoch die Franzosen unter sich.
Die Walisischen Marken bestanden in diesen Jahren noch aus Hunderten kleiner Territorien und Herrschaften und bildeten einen Flickenteppich, der allein durch Urkunden und Verfügungen, durch Eide und den allgemeinen Wunsch zusammengehalten wurde, den gerade erst errungenen Besitz vor den Walisern zu schützen. Freilich war dieser Flickenteppich nur so haltbar wie die Fäden, aus denen er gewoben war, und da diese Fäden nur aus Worten bestanden, konnten sie sehr leicht reißen. Viele der neuen Adelsgüter befanden sich im Besitz von Männern, die – genau wie ich selbst – erst nach der Invasion in der Gegend ein Lehen erhalten hatten. Über den größten Einfluss geboten jedoch alte normannische Familien, deren Stammbaum nicht selten bis in die Zeit Karls des Großen zurückreichte, der vor mehr als zweihundertfünfzig Jahren König der Franken gewesen war. Diese Familien sahen in den neuen Vasallen unliebsame Konkurrenten, die nach Macht und Reichtum gierten und denen man deshalb nicht trauen konnte. Und so schlug diesen Aufsteigern in den Kreisen der alten Aristokratie meist offene Feindseligkeit, bestenfalls kühle Gleichgültigkeit entgegen.
Doch jetzt trafen beide Gruppen ausnahmsweise einmal an ein und demselben Ort aufeinander, und sofort schlugen ihre lächerlichen Querelen und Eifersüchteleien in offene Auseinandersetzungen um, eine Situation, die allein in dieser Woche rund ein Dutzend Männer mit dem Leben bezahlt hatten. Eines Morgens wurden drei Leichen im Fluss entdeckt, die bäuchlings im Wasser trieben und so aufgedunsen waren, dass man sie nicht mehr identifizieren konnte. Hinzu kamen noch mehrere Verletzte. So verlor etwa ein Mann eine Hand, als er beim Würfeln mit seinen Kameraden in Streit geriet. Ein anderer, der einem Kameraden die Frau abspenstig gemacht hatte, erlitt schwere Verbrennungen, als ihn der Hahnrei in ein Kohlebecken schubste. Wieder andere Soldaten büßten, wie mir zugetragen wurde, einen Finger oder ein Ohr ein, weil sich jemand – zu Recht oder Unrecht – von ihnen beleidigt fühlte.
Auch zwischen meinen eigenen Männern kam es immer häufiger zu Spannungen. Am Anfang beschränkten sich diese Konflikte auf den üblichen Austausch höhnischer und obszöner Bemerkungen – daran hatte ich mich längst gewöhnt. Doch je länger das Warten darauf dauerte, endlich wieder in die Schlacht zu ziehen, umso weniger konnten die Männer ihre Zunge im Zaum halten. Auch ich selbst musste mich von Tag zu Tag mehr am Riemen reißen, weil ich auf Robert und Fitz Osbern, vor allem aber auf die Waliser wütend war,
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