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Die Ritter des Nordens

Die Ritter des Nordens

Titel: Die Ritter des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Aitcheson
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über ihren eigenen Rocksaum gestolpert. Doch Berengar sah sie kommen, drehte sich ihr zu und versuchte sie mit dem Messer rückhändig zu treffen. Die Klinge verfehlte sie nur um Haaresbreite, doch er traf sie mit dem Handrücken an Wange und an Nase, sodass sie jäh zu Boden stürzte.
    Bevor er weiteres Unheil anrichten konnte, war ich über ihm und riss seinen Arm mit einem scharfen Ruck nach hinten, sodass ihm das Messer aus der Hand fiel. Dann hielt ich den rasenden Mann mit dem rechten Arm von hinten umklammert, zog mit der linken Hand mein Messer und setzte ihm die Klinge an den Hals.
    »Und jetzt gebt den Jungen seiner Mutter zurück«, sagte ich. »Und zwar ganz langsam, sonst schneide ich Euch die Gurgel durch!«
    Die Frau hatte sich inzwischen wieder hochgerappelt und kniete benommen am Boden. Blut lief ihr aus der Nase und vermischte sich mit ihren Tränen. Als sie die Stelle in ihrem Gesicht betastete, wo Berengar sie getroffen hatte, verfärbte ihre Hand sich rot.
    »Die Frau braucht Hilfe«, sagte ich zu den Männern, die immer noch einen Kreis bildeten. »Helft ihr!«
    Keiner der Männer rührte sich. Doch sie sahen nicht etwa die Waliserin an, sondern mich – beziehungsweise mein Messer, das ich immer noch dem Mann an die Gurgel hielt, der trotz allem ihr Lehnsherr war.
    Ich schluckte. Nun erst wurde mir richtig klar, was ich soeben getan hatte. Doch nun gab es kein Zurück mehr. Außerdem durfte ich keine Schwäche zeigen. »Serlo, nimm ihm das Kind weg. Turold, Pons, helft dem Mädchen auf die Beine.«
    Das erbärmliche Wimmern des Kindes tat mir in den Ohren weh. An das Heulen der Sterbenden gewöhnte man sich als Krieger irgendwann, doch das Weinen eines Kindes war etwas völlig anderes. Und so traf mich das Wimmern des Säuglings – ausgerechnet hier an diesem Ort – bis ins Mark.
    Dieses Kind, das Berengar immer noch wie ein Bündel unter den Arm geklemmt hatte, war in eine von Hass und Gewalt regierte Welt geboren worden. Wenn es Glück hatte, würde es Hunger, Krankheit und Gewalt überleben. Aber eines Tages würde es davon erfahren, was wir hier – aber nicht nur hier – getan hatten. Und wahrscheinlich würde es dann auf Rache sinnen und sein Leben dort aushauchen, wo es begonnen hatte: auf dem Schlachtfeld. So war es schon immer gewesen, und so würde es auch in Zukunft sein. Nicht nur für den Rest meines Lebens, sondern auch in künftigen Jahrhunderten, bis zum Jüngsten Tag.
    Doch das alles war es noch nicht einmal, was meine Seele am tiefsten erschütterte. Viel schlimmer war, dass mir in dem Augenblick bewusst wurde, welch fragiles Gebilde die körperliche Hülle ist, die unsere Seele umfängt; dass die Zukunft eines jeden Kindes davon abhängt, ob ihm das Glück zufällig gewogen ist; und wie dünn des Messers Schneide ist, auf der wir stets zwischen Leben und Tod wandeln.
    So stand ich am Rande des Schlachtfelds: Tancred a Dinant, der beides vermochte: Glück und Verderben zu bringen. Der Schutzengel der Schwachen und Schlächter wehrhafter Männer. Schild und Geißel zugleich, Richter über Sein oder Nichtsein. Mit der einen Hand gab ich Leben und Hoffnung, mit der anderen nahm ich beides wieder fort, brachte Tod und Schmerz.
    Mir rann Schweiß von der Stirn, brannte in meinen Augen, trübte mir die Sicht, und ich musste blinzeln, um die Schlieren zu vertreiben. Berengar gab einen grunzenden Laut von sich, und mir wurde klar, dass ich ihm immer noch das Messer dicht an die Halsschlagader hielt. Er ließ es wortlos geschehen, dass ihm Serlo behutsam das Kind aus dem Arm nahm; zweifellos, weil er wusste, dass ihn nur eine Haaresbreite von den ewigen Qualen der Hölle trennte.
    Pons und Turold halfen der Waliserin auf die Beine. Schluchzend nahm sie ihr Kind entgegen, wiegte es in den Armen, drückte es sich an die Brust, während sie seinen winzigen Kopf streichelte.
    »Geh jetzt«, sagte ich zu ihr und befahl den übrigen Männern: »Platz da. Lasst sie durch.«
    Diesmal befolgten sie meine Anweisung, ohne zu fragen oder zu zögern. Das Mädchen stand vor mir und sah mich an, schien mir nicht recht zu trauen.
    »Geh schon«, sagte ich, diesmal lauter, und wies mit der Hand, mit der ich bis dahin Berengar am Arm festgehalten hatte, auf die Festung am Fuß des Hügels. Doch auch jetzt wagte der Mann es nicht, sich von der Stelle zu rühren. Tatsächlich hätte er schon sehr tapfer oder sehr dumm sein müssen, um in dieser Situation den Versuch zu unternehmen, mich zu

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