Die Rollbahn
Schneiders festgesetzt.
Oberleutnant Faber war mit seinen letzten Männern zu ihm gestoßen. Unter dem Schutz der Flak, die den Panzervorstoß aufhielt, und einer Batterie leichter Geschütze, die einen Riegel vor die sowjetische Infanterie legte, hatte Major Schneider nach alter Manier alles aufgesammelt, was in seinem Gebiet an Versprengten herumlief. Es war dabei gleichgültig, ob es sich um Verwundete, Pioniere, Nachrichtenmänner oder gar einige Hiwis handelte … er scharrte alles zusammen und unterstellte sie seinem Kommando.
Leutnant Vogel, mit dick verbundenem Kopf, hatte die Kontrolle der Nachtposten übernommen. In den Erdlöchern hockten die Männer und gurteten MG-Munition. Oberleutnant Faber wartete am Feldtelefon auf die Verbindung zum Regiment … vier Störungssucher waren unterwegs, um die Leitung zu suchen und anzuzapfen. Major Schneider war unterwegs … er kam von Dr. Wensky zurück, niedergeschlagen, mager, farblos im Gesicht.
Gegen 21 Uhr traf Fritz Leskau ein … er schwankte auf die ersten Posten zu, fiel Leutnant Vogel in die Arme, bekam ein Gewehr in die Hand gedrückt und fiel in ein Schützenloch. Dort schlief er ein, das Gewehr im Arm, kaum, daß er Halt spürte und der Körper nicht mehr lief.
Als Russe marschierte Hauptfeldwebel Kunze durch die Nacht.
Nachdem er ein paar Stunden wirklich tief geschlafen hatte, fühlte er sich wieder frisch. Die kühle Nachtluft gab ihm neue Kräfte, er setzte seinen Helm auf und machte sich auf den Weg nach Westen.
Vier Stunden ging er einsam durch ein schlafendes Land. Keine Leuchtkugel zischte empor, kein Schuß unterbrach die Stille … es war, als hätte es keinen Krieg gegeben und keine Panzer, die schreiende Menschen vor sich herjagten und in die Erde malmten zu unkenntlichen Klumpen.
Daß er an versteckten deutschen Landsern vorbeiging, merkte Kunze nicht. Wer ihn kommen sah, schemenhaft in der Dunkelheit, unverkennbar als Russe durch seinen Helm, duckte sich und verhielt sich still. Ein Russe ist nie allein … und Feindberührung war das letzte, was sich die müden deutschen Landser wünschten.
In der Postenstellung 2 hockte Leutnant Vogel neben einem Unteroffizier der 10. Kompanie und sah durch das Nachtglas zu den Sümpfen hin. Deutlich hoben sich im Mondschein der Pfad und die Schilfwälder ab … dann kam ein unübersichtliches Gelände mit Zwergbirken und verfilzten hohen Gräsern, die übergingen in einen Wald. In ihm lag das 3. Bataillon, ein waffenstarrender, aber müder Igel, der sich gegen Morgen weiterrollen wollte nach Westen, Minsk entgegen, der unüberwindbaren Festung, zu der sie Hitler erklärt hatte.
Leutnant Vogel hob sein Glas und sah hinüber zu dem Pfad. Er wackelte mit der Hand, als der Unteroffizier etwas sagen wollte und machte »Psst!«
Im Schilf erschien ein Schatten. Noch blieb er in dem dichten, hohen harten Gras verborgen, aber man sah ihn deutlich durch das Glas.
»Da ist einer«, flüsterte Vogel heiser. »Lassen Sie ein MG fertigmachen.«
»Wir haben Schießverbot, Herr Leutnant. Nur bei direkter Feindberührung und in Notwehr, befahl der Herr Major«, flüsterte er zurück.
Vogels Kopf zuckte herum. »Wenn ich sage: fertigmachen, dann ist das auch ein Befehl«, zischte er. »Wissen Sie nicht, daß ein Befehl durch einen nachfolgenden Befehl unwirksam wird? Was haben Sie eigentlich in der Ausbildung gelernt?«
Er hob das Nachtglas wieder an die Augen, schraubte am Okular und sah plötzlich lächelnd zu dem verdrießlichen Unteroffizier hin. »Was habe ich gesagt, Sie Pflaume – ein Iwan! Ein sorgloser, spazierengehender Iwan. Denken wohl, sie haben den Krieg schon gewonnen! Germanskij kaputt … ich will es dir zeigen, mein Junge!« Er sah zu dem MG hinüber, das in einer Senke hinter dem Busch lag und das Vorfeld des Waldes bestreichen konnte. »Alles fertig?«
Der Unteroffizier schob sich an Leutnant Vogel heran.
»Jawoll, Herr Leutnant.«
»Wir lassen das Vögelchen näher kommen. 200 Meter, dann ein Feuerstoß! Aber der muß sitzen!«
»Und wenn noch mehr kommen? Wenn das nur ein Spähtrupp ist? Bis jetzt weiß keiner, daß wir hier sitzen! Aber wenn wir schießen, locken wir die halbe Rote Armee auf uns.«
Leutnant Vogel setzte sein Nachtglas ab. Über sein Gesicht, soweit es durch den dicken Verband noch zu sehen war, zog der Ausdruck tiefster Verachtung, ja fast des Ekels.
»Sie haben zu schießen, weiter nichts, Unteroffizier. Hinterher können Sie sich vor Angst die Hosen
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