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Die Rollbahn

Die Rollbahn

Titel: Die Rollbahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Wahnsinn!
    Und die russische Dampfwalze lief weiter … sie lief auf Brest zu … sie näherte sich dem Njemen bei Grodno … sie erreichte den Raum von Wilna … die ersten Panzerspitzen erreichten die Düna … die Pferde der Kavallerie-Divisionen tranken aus ihr und badeten die schwitzenden Leiber in den kühlen Wellen.
    »Wir werden sie jagen wie Wölfe …«, hatte Stalin gesagt. Aber es waren keine Wölfe mehr, die mit starren Augen, knochigen Gesichtern, blutend, zerschlagen und von blutgierigen Partisanen aus jedem Haus, aus jedem Heuschober, aus jedem Keller beschossen, zurückgingen – es waren armselige, verhungerte Hasen, an den Läufen verletzte Rehe, die zitternd und um sich beißend flüchteten und irgendwo zusammenbrachen und verendeten.
    In Orscha, Mogilew und Witebsk wurden die Trümmer weggeräumt und begann der Aufbau … in Smolensk spielte schon wieder das Theater … eine Oper … ›Rußland und Ludmilla‹ von Glinka … Smolensk … hier war tiefste Etappe, hier war schon Frieden … Wie lange war es her, daß der Deutsche weggezogen war … Ach ja, kaum ein Jahr … Am 24. September 1943 wurde Smolensk geräumt. Ein kleines, knappes Jährchen, und schon spielt die Oper wieder, Brüderchen, gehen die Mädchen in Sommerfähnchen über den Stalin-Platz und sitzen die schmucken Offiziere der Militär-Akademie in den Cafés an der Rulasskaja.
    So schnell geht der Krieg vorbei, so schnell haben wir die Deutschen weggejagt … so schnell wollen wir ihn vergessen. Nur noch ein weiteres Jährchen … und es gibt keine Deutschen mehr auf der Welt! In einem Monat werden wir Warschau haben, dann Königsberg, dann Berlin … Genosse Stalin ist wie ein kleiner Gott, Brüderchen … er schafft eine neue Welt … die Welt der siegreichen Bolschewiki …
    Das 3. Bataillon Major Schneiders war eines der letzten, das die Rollbahn verließ und nach Minsk auswich. Es zog sich kämpfend zurück wie alle Kampfgruppen neben und hinter ihm … ein armseliges Häuflein Männer, bestehend aus drei Offizieren und 149 Landsern.
    Es gab keine Kompanien mehr, nur noch Gruppen. Es waren Verbände, die selbständig kämpften, nur locker geleitet von den Regimentern oder Divisionen, verbunden durch Funk oder Telefon, oft abgeschnitten, Inseln im Roten Meer der Sowjets, manchmal kleine Stoßkeile, die versuchten, die wie Zahnräder ineinandergefügten russischen Divisionen zu durchbrechen, um den Weg nach Westen freizubekommen.
    Auch Theo Strakuweit war nicht weit gekommen.
    Nachdem Dr. Wensky seinen Hauptverbandplatz fluchtartig räumen mußte, war Strakuweit, noch besinnungslos, mit dem ersten Sanka zur Division gefahren worden, wo er so lange im Feldlazarett blieb, bis auch dieser Platz ›zurückgenommen wurde‹, wie der militärische Ausdruck für Flucht heißt.
    Nach einigen Röntgenaufnahmen stellte es sich heraus, daß die Verletzungen Strakuweits nicht besorgniserregend waren. Sie waren nach zehn Tagen sogar soweit verheilt, daß ein Transport in die Heimat gestrichen wurde.
    »Eine Scheiße ist das!« schrie Strakuweit, als der Sani ihm die Nachricht aus der Oberstabsarztbesprechung mitbrachte. »Da läßt man sich fast umbringen, und was kommt dabei heraus? Ein Aufenthalt in der Etappe und vielleicht Hilfsdienste beim Zahlmeister! Es ist zum Tränen scheißen! Was muß man eigentlich haben, um in die Heimat zu kommen?«
    »Nen Hodenschuß!« sagte der Sani grinsend. Strakuweit angelte nach der Glasente unter seinem Bett.
    »Raus, du Saustück!« schrie er. »Glaubst du, ich will mein Lottchen schon jetzt zur Witwe machen?«
    Dann war er plötzlich still, legte sich auf den Rücken und starrte sinnend an die Decke. Lottchen … sein Kind, das bald zur Welt kam. In diese grauenhafte, aus den Fugen springende, brennende erbarmungslose Welt. War es noch eine Gnade Gottes, Kinder zu zeugen und Kinder zu gebären?
    »Du«, sagte Strakuweit zu seinem Bettnachbarn, einem älteren Unteroffizier, dem man beide Füße abgeschossen hatte. »Es wäre wirklich besser, sich was Gewisses wegnehmen zu lassen.«
    »Mit'm Gehirn haste ja schon angefangen.«
    Strakuweit entgegnete nichts. Er drehte sich auf die Seite und furzte in Richtung des Unteroffiziers.
    Ein hörbarer Beweis, daß er auf dem Wege der Besserung war.
    Zwei Tage später wurde Strakuweit weitergereicht. Mit einem Verband um den Brustkorb meldete er sich beim Generalstab und wurde vom Adjutanten des Generals, Hauptmann Hellberg, in Empfang genommen.
    »Sie sind

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