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Die Rollbahn

Die Rollbahn

Titel: Die Rollbahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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vollscheißen, so lange Sie wollen.« Er setzte das Glas wieder an die Augen. »Wenn ich jetzt noch ein Widerwort höre, fasse ich das als Feigheit vor dem Feinde auf! Was darauf steht, wissen Sie ja.«
    Der Unteroffizier schwieg. Er biß sich auf die Unterlippe und kniete neben dem MG. Schwein, dachte er. Du erbärmliches Schwein. Genauso, wie du diesen Russen abknallst, schießt du auf deine eigenen Kameraden, wenn du glaubst, im Recht zu sein. Und es macht dir gar nichts aus, daß jetzt gleich unser Feuerstoß vielleicht die ganze Front wieder rebellisch macht und Hunderte von uns fallen. Wenn ich der Major wäre, würdest du längst nicht mehr leben …
    Leutnant Vogel leckte sich über die Lippen. Der Russe trat aus dem Schilf. Ganz deutlich sah man ihn … er ging durch den Mondschein, sein runder Helm blinkte schwach. Vor seiner Brust baumelte die Maschinenpistole mit dem großen, runden Magazin. Eine lebende Zielscheibe … ein wunderbares Tötungsobjekt … Ein Mensch, der geradezu reizt, ihn zu töten, so wie eine schöne Frau reizt, sie zu erobern.
    »Achtung!« flüsterte Leutnant Vogel. Er preßte das Glas an die Augen, daß seine Augäpfel schmerzten. In seiner Brust bebte das Herz. Jetzt renne ich nicht weg, durchrieselte es ihn. Jetzt bin ich nicht der Gejagte, sondern der Jäger. Einmal, endlich einmal ist es umgekehrt … ich werde nicht verfolgt, um getötet zu werden, sondern ich töte selbst. Welch herrliches Gefühl der Macht …
    Er kostete es aus … er ließ den Russen näher kommen … 150 Meter an den Wald heran.
    »Feuer!« sagte Leutnant Vogel. Aber er sagte es nicht, wie es üblich ist … er schrie es heraus, er brüllte, er jubelte: »Feuer! Feuer!«
    Die dunkle Gestalt war bei dem grellen Aufschrei Vogels stehengeblieben und hob beide Hände. In der kleinen Sekunde zwischen Befehl und Ausführung flatterte ein dünner Ruf durch das fahle Dunkel.
    »Halt! Halt!«
    Der kurze Feuerstoß jagte heraus. Er war nicht zurückzuhalten … ehe der Schütze den Finger wieder straffte, waren dreißig Schuß – jeder fünfte eine Leuchtpatrone – aus dem schwarzen Lauf gespritzt. Leutnant Vogel stand starr neben dem Busch … die Gestalt vor ihm schwankte, griff mit beiden Armen um sich, der Helm fiel vom Kopf auf den Boden … dann brach der Russe in die Knie, rollte nach vorn über in das Gras und lag auf der Seite, ein dunkler Fleck im helleren Grün des Bodens.
    Vogel sah zu dem Unteroffizier. Um seinen Mund zuckte es.
    »Haben Sie das gehört?«
    »Ja, Herr Leutnant.«
    »Der Russe hat ›halt‹ gerufen.«
    »Zu spät, Herr Leutnant.«
    Vogel machte einen Schritt vorwärts, einen langsamen, fast tastenden Schritt.
    »Der Russe hat – der Russe …« Er trat aus dem schützenden Walddunkel und ging auf die im Gras liegende Gestalt zu. Als er bei ihr stand, brauchte er sich nicht zu bücken, um sie zu erkennen … der Mond schien direkt in ihr Gesicht … Ein großes, breites, vor Schreck und Verblüffung noch im Tode ratloses Gesicht.
    »Kunze«, sagte Leutnant Vogel leise. »Himmel – welche Schweinerei!«
    Er wandte sich ab und ging zu dem Wäldchen zurück. Aus der Dunkelheit trat ihm der Unteroffizier entgegen. Vogel straffte sich, sein ›markantes Gesicht‹ trat unter dem Kopfverband hervor.
    »Unteroffizier!« schrie er hell. »Sie melden sich sofort bei dem Herrn Major! Sie haben auf einen Mann geschossen, der sich ergab und ›halt‹ rief. Auf einen Wehrlosen! Sie haben das primitivste Kriegsrecht verletzt!«
    »Herr Leutnant! Ich –« Der Unteroffizier starrte Vogel an. »Sie haben doch selbst …«
    »Ich habe nichts!« brüllte Vogel. »Nehmen Sie die Hacken zusammen, wenn ich mit Ihnen rede, Sie Kameradenmörder! Sie haben geschossen, nachdem der Mann ›halt‹ rief! Ich habe es deutlich gehört! Sie haben einen Kameraden abgeknallt!«
    Er ging an dem vor Entsetzen und Wut weißen Unteroffizier vorbei in den Wald.
    Kunze … ich habe ihn erschossen, dachte er.
    Einmal war ich der Jäger … und traf mich selbst.
    Er lehnte sich an einen Baum und preßte den Kopf gegen die zerrissene Rinde.
    Ihm war übel vor Angst und Enttäuschung.
    Am nächsten Morgen fiel der Unteroffizier.
    Er lief in die Schußrichtung eines russischen Panzers hinein, obwohl er dort gar nichts zu suchen hatte. Er lief, gegen alle Vernunft, über den Weg und blieb stehen, bis er niedergemäht wurde.
    Er war verheiratet und Vater zweier kleiner Mädchen.
    Ein Postbeamter aus Duisburg.
    »Sehen Sie,

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