Die Rollbahn
der neue Cheffahrer?« fragte er. Die Musterung Strakuweits fiel ohne Urteil aus … er machte den Eindruck aller Landser, die jahrelang in Rußland waren. Nur, als die Antwort Strakuweits kam, wußte Hauptmann Hellberg, wen er vor sich hatte.
»Ich weiß nicht, Herr Hauptmann! Als mich das Lazarett entließ, sagte der Oberstabsarzt zu mir: Strakuweit – Sie werden abkommandiert als Geheimwaffe der deutschen Wehrmacht! Die Intelligenz hat den Krieg verloren – vielleicht gewinnt ihn die Blödheit!«
Hauptmann Hellberg lachte nicht. Es gab nichts zu lachen mehr. Die Lage war verzweifelt, und der Witz wurde Galle.
»Sie melden sich nachher bei dem Herrn General. Sie sind als Cheffahrer abkommandiert. Wenden Sie sich an Feldwebel Pulle. Er weist Ihnen das Quartier zu.«
Theo Strakuweit ging über den Hof des kleinen Landgutes, in dem der Stab lag. Die Ställe waren leer, das Vieh weggetrieben in die Wälder zur Ernährung der Partisanen. Nur drei Hühner waren zurückgeblieben … für sie hatte der Zahlmeister extra einen Mann als Wache abkommandiert, denn das Herumstreichen durchziehender Landser um den Hühnerstall war immer eine Gefahr für das tägliche Frischei des Herrn Generals.
Auch Strakuweit fand nichts, was ihn interessierte. Die Stabsküche war in einem festen Gebäude, bei dessen Betreten sofort der Küchenbulle wie ein gepickter Stier heranraste und alles brüllend hinausschmiß. Die Marketenderei war im Keller, der Furier bewachte seine Schätze in einem ehemaligen Pferdestall mit einem dicken Holztor … ein trauriges Kommando, das man ihm gegeben hatte, stellte Strakuweit fest.
Mit der ihm eigenen Art führte er sich beim Stab ein. Er hielt auf dem Hühnerhof einen Feldwebel an und fragte ihn:
»Sag mal, mein Junge, wo treffe ich hier die liebe, süße Flasche?«
»Wen?« fragte der Feldwebel. Er sah großzügig darüber hinweg, daß ihn Strakuweit duzte. Ein Mann mit beiden EKs auf der Brust, dem Gefrierfleischorden, der silbernen Nahkampfspange und anderen Klamotten auf der Brust und am Ärmel, konnte sich schon etwas leisten.
»Die Flasche«, sagte Strakuweit zwinkernd. »Den ollen Pulle …«
Der Feldwebel holte Luft und brüllte, und Strakuweit stellte fest, daß Feldwebel eben Feldwebel bleiben, ob vorn im Dreck oder hinten beim General.
Es dauerte auch eine ganze Weile, bis Strakuweit erfuhr, daß der brüllende Feldwebel Pulle selbst war.
»Wenn man Pech hat, pißt man sich in die eigenen Schuhe«, sagte Strakuweit und ließ Pulle stehen.
Am Mittag schon saß er neben dem General in einem Horchwagen und fuhr ihn zum Kommandeur einer Panzer-Division. Er fuhr wie der Teufel, er umging Schlaglöcher und hüpfte über Knüppeldämme. Oberst v. Bennewitz, der hinten im Wagen saß, umklammerte die Vorderlehne.
»Wollen Sie uns umbringen?« schrie er Strakuweit ins Ohr.
»Nein!« schrie Strakuweit zurück. »Aber wir haben wenig Zeit! Wenn wir nicht schneller sind als der Iwan, können wir nicht mehr zu Mutti ins Bett kriechen.«
Oberst v. Bennewitz lehnte sich konsterniert zurück. Der General blickte zur Seite und lächelte.
Meine Jungs, dachte er. Ist es nicht ein Verbrechen, sie für einen Wahnsinnigen zu opfern …
In Nowy Dwor , nördlich von Brest, hatte Stabsarzt Dr. Wensky sein Lazarett neu eingerichtet.
Der überstürzte Rückzug, die Flucht über Minsk hinaus durch das von Partisanen verseuchte Gebiet von Baranowitschi, das Herumirren mit einer Kolonne Sankas und schreienden Verwundeten, zu denen an jedem Straßenknotenpunkt, in jedem Dorf, bei jedem Anhalten neue Verletzte kamen, die man auf den Kotflügeln und auf den Dächern der Wagen festband und mitnahm, dieses ganze Inferno eines hoffnungslos verlorenen Krieges hatte Stabsarzt Dr. Wensky still und verbittert werden lassen.
In Nowy Dwor fanden sie im Haus des Stadt-Sowjets eine vorläufige Bleibe. Hier traf auch endlich Sanitätsunteroffizier Walter Heinrich ein, der wochenlang von Truppe zu Truppe zog, bis er das ihm zugeteilte Feldlazarett III und Dr. Wensky fand.
»Ein Ersatzmann!« rief Dr. Wensky, als sich Heinrich meldete. »Ja, gibt's das noch bei der deutschen Wehrmacht! Ich bekomme tatsächlich Hilfe? Jetzt, wo alles zusammenbricht?« Er gab Heinrich die Hand und hielt sie fest. »Sie sind Idealist, was?«
»Warum?«
»Weil Sie gekommen sind! Manch einer wäre an Ihrer Stelle weiter von Truppe zu Truppe gezogen, immer schön im Kreis herum um die befohlene Einheit, und immer weiter zurück, bis in die
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