Die Rollbahn
Gefährlichkeit und die Macht des kleinen Leutnants Vogel in ihrer ganzen Größe. Das hat uns noch gefehlt, durchfuhr es ihn eiskalt. Politische Offiziere mit dem Gehirn eines Vogels … wie kann das anders enden als im Chaos …
»Lassen Sie es gut sein, Vogel«, sagte er mühsam, mit einem bitteren Ton in der Stimme. »Ich werde mich bemühen, brav zu sein und Ihr Wohlwollen zu erhalten …«
Mit rotem Kopf, verwirrt und innerlich wirklich beschämt, verließ Leutnant Vogel den notdürftigen Bunker. Draußen prallte er auf einen kleinen Trupp Landser, der sieben zerlumpte, stumpfsinnige, mit Dreck überstaubte Gestalten mit sich führte. Nur an den Röcken sah man, daß auch zwei Frauen darunter waren.
»Was soll das?« schrie Vogel. Er spürte ein Kribbeln unter der Kopfhaut. Seine erste Handlung als NSFO begann.
»Partisanen, Herr Leutnant.« Der Obergefreite, der den Trupp führte, baute sich stramm auf. »Wir haben sie überrascht, als sie unsere Leitungen durchschneiden wollten.«
»Ein Sabotagetrupp!«
»Jawoll, Herr Leutnant.«
Vogels Gesicht verklärte sich. Partisanen sind eine Sauerei … aber für Sabotagetrupps gab es einen Sonderbefehl. Jeder, der einen Saboteur auf frischer Tat ertappt, kann … Vogel schnalzte mit der Zunge.
»Weiß der Herr Major davon?«
»Nein, wir wollten es eben melden.«
»Das ist hiermit getan!« Vogel winkte lässig durch die warme Luft. »Ich übernehme den Fall.« Er wandte sich an den ersten Russen, einen alten bärtigen Bauern, wie er in alten Bilderbüchern auftaucht, einem Petruskopf auf den Ikonen gleichend. Vogel sah ihn mit schräg geneigtem Kopf an, er kreuzte den Blick mit dem Alten, der ihn ansah wie ein geprügelter Hund. Dann hob er das Bein mit den sauberen, maßgearbeiteten Stiefeln, die er von seinem Lehrgang aus Warschau mitgebracht hatte, und trat dem Alten in den Unterleib. Aufschreiend drückte der Bauer beide Hände gegen die Genitalien … sein Mund zwischen dem Gewirr der Barthaare riß auf wie eine gesprengte Höhle.
»O bog! O bosheßtwo!« heulte er. (O Gott, o Gottheit!) Der Obergefreite biß sich auf die Unterlippe. Es ist Krieg, dachte er. Verdammt ja, es ist Krieg. Da kennt man keine Gnade. Und sie haben die Leitungen durchschnitten. Aber gleich in den Unterleib treten. Soll er doch schießen …
Leutnant Vogel ließ den wimmernden und sich krümmenden Alten stehen. Er betrachtete die beiden Frauen … eine ältere Frau mit einem farblosen Kopftuch und ein junges Mädchen mit hohem vollen Busen, ihre Tochter. Ihr Haar war schwarz und lang, über den breiten, asiatischen Backenknochen sahen ihn zwei glühende Augen an.
Vogel atmete rascher. Zum erstenmal spürte er einen Drang in sich, weißes Fleisch unter den Händen zu haben. Einen Augenblick dachte er sich die zerrissene, schmutzige Kleidung weg, die plumpen Schuhe, die umgewickelten Beinlappen, das Kopftuch … er dachte sich alles weg und sah diesen Körper nackt vor sich mit seiner hohen, schweren Brust, den prallen weißen Schenkeln und dem geschwungenen Leib.
»Und du?« sagte er mühsam beherrscht. Er tippte dem Mädchen mit dem Zeigefinger auf die Brust. Der Finger federte zurück … durch Vogels Brust rann ein warmer Strom.
»Iiiisch Tochterr!«
»Von dem Alten dort?«
»Da!« (Ja.)
»Ihr habt die Kabel durchschnitten?«
»Da.«
»Warum?«
»Germanskij kaputt!«
Leutnant Vogel rang einen Augenblick zwischen Eros und nationaler Pflicht. Er sah auf die Brust des Mädchens und hörte das Heulen des Alten, der noch immer seine Hände auf den Unterleib preßte. Als er sich umblickte, sah er in die Augen des Obergefreiten. Es war ihm, als habe dieser gegrinst. Das entschied. Vogel straffte sich und setzte sein ›markantes Gesicht‹ auf.
»Mitkommen!« kommandierte er. »Obergefreiter – Sie folgen mir mit den Delinquenten.«
Er ging voraus, einem Wäldchen zu, das seitlich des Bataillons zum Troß der 7. Kompanie hin lag. Ein nicht ausgebauter Weg führte durch den Wald, der irgendwo an einem Flüßchen endete … so hatten es Spähtrupps erkundet, als sie die Flanken nach sowjetischen Stoßtrupps absuchten.
Die sieben Russen marschierten mit ihrer Bewachung, dem Obergefreiten und zwei Landsern, Leutnant Vogel nach. Die Mutter und die Tochter stützten den Alten, der leise vor sich hinweinte. Die anderen vier Russen, Bauern wie der gequälte Alte, gingen stumpf neben den Deutschen her. Ihre Gesichter waren lehmgrau, ihre Augen tief in den Höhlen … sie waren
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