Die Rollbahn
Punkt.
»Hier!«
Heinrichs Gesicht wurde fahl.
»Sczynno.«
»Stimmt. Sie kennen das Nest?« Dr. Wensky faßte sich an den Kopf. »Natürlich. Werde alt, Heinrich. In Sczynno lebte doch Ihre Braut, nicht wahr?«
»In Nasielsk. Das liegt nahebei. Aber sie ist längst in der Heimat. Oberstabsarzt Dr. Seidel hat sie herausgeschmuggelt … als Mutter mit zwei Kindern!«
»Ein kleiner Vorgriff auf die Zukunft, was?« sagte Wensky in seiner ironischen Art. Heinrich wurde ein wenig rot.
»Vielleicht, Herr Stabsarzt. Wenn wir hier 'rauskommen.«
»Das wollen wir hoffen!« Er tippte wieder auf den kleinen Punkt auf der Karte. »Also, Heinrich … fahren Sie mal nach Sczynno. Frischen Sie mal die seligen Erinnerungen auf … dort der Strauch, da habe ich sie geküßt … dort, unter dem Baum, … und dort, wo der Bach die Biegung macht …« Er wischte sich über die Augen. »Ist ja alles Quatsch, was, Heinrich? Wir sind rauhe Krieger! Besorgen Sie mir Verbandmaterial und Medikamente. Vor allem Narkotika, Sulfopuder, Strophantin, Aspirin, Calcium … Sie wissen schon, was wir brauchen. Und kommen Sie sofort zurück, wenn Sie das Zeugs haben! Jede Minute kann ein Leben kosten.« Er lächelte wieder ironisch. »Klingt wie aus einem billigen Boulevardreißer, was? Na ja – hauen Sie schon ab!«
In der Nacht fuhr Walter Heinrich mit einem Kübelwagen los. Er fuhr die ganze Nacht hindurch, oft aufgehalten von den an den Straßenkreuzungen stehenden Feldgendarmen, die mißtrauisch seinen Marschbefehl kontrollierten.
Es wimmelte von Deserteuren, die mit gefälschten Marschbefehlen sich in die Heimat durchschlagen wollten. Meistens endeten ihre Abenteuer an der deutsch-polnischen Grenze, wo sie in den Wäldern von Posen entweder aufgehängt wurden oder nach einem Militärgerichts-Schnellverfahren in den Strafbataillonen verschwanden.
Er erreichte Sczynno bei strahlendem Sonnenschein und suchte in dem Gewirr der Nachschubtruppen, der Lazarettstaffeln und der Trosse nach dem Lager der Heeres-Feldapotheke.
Er fand nur eine leere Baracke. Die Apotheke war vor drei Tagen nach Warschau verlegt worden … noch wußte niemand, daß sie nie in Warschau ankam, sondern unterwegs an der Weichsel von den polnischen Widerständlern aufgebracht wurde und einfach verschwand.
Das einzige, was vorhanden war, war ein kleines Lager der Luftwaffen-Feldapotheke. Die Fernaufklärer und Nachtjäger, die auf dem Flugplatz bei Sczynno lagen, hatten ihre eigene Sanitätsversorgung. Dort bettelte Walter Heinrich um ein paar Binden und Medikamente.
»Mann!« sagte der Feldapotheker zu Heinrich, als er seine Wünsche vorbrachte. »Da kommen Sie zu mir? Mir hauen sie die Rübe ab, wenn ich nur eine Pille vergebe! Der Göring hat extra befohlen, daß wir auf unsere Sachen aufpassen sollen!«
»Sind die von der Infanterie keine Menschen? Ihr habt hier für eure paar Flieger ein Lager wie im tiefsten Frieden, und draußen an der Front verbluten die Kameraden, weil wir keine Verbände haben! Das ist doch eine Sauerei!«
»Alles ist Sauerei!«
»An der Front …«
»Die Front ist überall, Mann! Ich brauche meine Narkotika selbst! Die hängen mich auf, wenn ich sage: Ein Junge vom Heer war hier und hat's mitgenommen!«
Walter Heinrich schwitzte. Er setzte sich auf die Tischkante. Verhandeln, dachte er. Er muß es herausgeben. Im Lazarett schreien sie, weil wir kein Morphium haben. Die Jungen werden wahnsinnig vor Schmerzen. Und hier stapeln sie die Kartons mit Narkotika.
»Wir sind doch eine Truppe, Kamerad! Wir kämpfen doch für eine Sache! Wenn wir da draußen nicht wären, läge der Russe längst hier!«
»Das wäre nicht übel. Dann wäre der Scheißdreck zu Ende!«
»Mensch! Begreifst du denn nicht: Da draußen sind Männer wie du und ich, die verbluten, weil du Rabenaas keine Medikamente herausrückst!«
»Ich darf nicht, du Rindvieh. Begreif das doch auch!«
»Und wenn der Russe durchbricht?«
»Dann geht alles in die Luft!«
»Und das darfst du?«
»Ja. Das darf ich!«
»Und du siehst nicht ein, daß das alles Irrsinn ist?« schrie Heinrich unbeherrscht.
Der Luftwaffen-Feldapotheker nickte. »Doch, mein Junge. Aber ich habe diesen Irrsinn nicht erfunden!«
Nach drei Stunden hatte Heinrich seine Medikamente. Er hatte mit dem Kommandeur des Flugplatzes telefoniert. Zwar unterstand die Apotheke nicht dem Truppenführer, aber der Apotheker beugte sich dem Befehl. Er forderte ihn zur eigenen Sicherheit schriftlich an.
Es war gegen
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