Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rollbahn

Die Rollbahn

Titel: Die Rollbahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
haben abgeschlossen – du und ich! Wir stehen schon jenseits des Leides. Wir sind zurückgekehrt zur primitivsten Alternative der Kreatur: Leben oder Sterben. Wir nehmen hin, wie es kommt. Ohne zu denken, ohne Bewegung – wir sind wie ein Ball, den man wirft. Ob nach rechts oder nach links … kann es der Ball ändern?«
    Walter Heinrich umfaßte Elsbeths Schulter. Sie verzog das Gesicht unter seinem harten Griff, aber sie sagte nichts.
    »Ich kann es nicht. Elsbeth, ich kann es nicht! Ich werde wahnsinnig, wenn ich daran denke, daß ich jetzt wegfahre und dich hier allein zurücklasse. Allein unter einer zurückgehenden, sich auflösenden Armee, allein für die sowjetischen Panzer, die über Nasielsk rollen werden. Ich werde wahnsinnig!«
    »Du hast Kameraden, die auf dich warten.« Sie legte ihm die Hand auf den Arm. Mit aller Macht zwang sie sich, nicht zu zittern. »Fahr jetzt, Walter …«
    Heinrich schluckte. »Ich …«
    »Fahr …«
    »Elsbeth …«
    »Wir sehen uns wieder …«
    »Ich …«
    »Sie warten auf dich, Walter …«
    »Du …«
    Er riß sie in seine Arme und küßte sie. Mit geschlossenen Augen, mit flatternden Lippen, mit Tränen, die unter den Lidern hervorrannen, küßte er sie und verging fast vor Schmerz. Dann spürte er, wie sie sich von ihm löste … er hielt die Augen geschlossen, als sie aus dem Wagen stieg, er hörte ihre Schritte, wie sie sich entfernten … schnell, fast rennend, eine Flucht vor dem Ich, eine Flucht vor der Wahrheit … Da verkrampfte er die Finger um das Lenkrad und hielt sich an ihm fest, drückte die Nägel in das Holz und biß sich die Lippen blutig, um nicht nach ihr zu schreien.
    Erst nach langen Minuten öffnete er die Augen.
    Die Straße war leer. Hinter den Gardinen der Fensterscheibe sah er das runde Gesicht des Friseurs Pawlek Staniswortsky . Es sah aus wie ein grinsender Mond zwischen Nebelwolken.
    Da trat er wieder auf das Gas, riß den Wagen herum und raste durch die Straßen Nasielsks hinaus auf die Landstraße, die nach Osten führte … nach der Front, in das Sterben …
    In der Nische einer Haustür sah ihm Elsbeth Holzer nach. Mit leeren Augen verfolgte sie den kleinen, rasenden, in der Kurve schleudernden Wagen … dann trat sie aus der Nische hervor und ging langsam über die Straße, wieder dem Marktplatz zu.
    Als sie die Straße überquert hatte, traf sie auf Pawlek Staniswortsky. Er vertrat ihr den Weg und winkte ihr, mitzukommen.
    »Pany professori«, flüsterte er, als Elsbeth Holzer in dem leeren Friseurladen stand. Er zog die Gardinen dichter vor das Fenster und setzte sich in einen seiner Rasiersessel. »Der Krieg ist aus!«
    »Um mir das zu sagen, tust du so geheimnisvoll, Pawlek?«
    »Ich will dir helfen, pany.«
    »Helfen! Womit! Wozu?«
    »Ich habbe Möglichkeit, pany. Wenn Ruuusse kommtt, ich dich nicht vergesse.«
    Durch Elsbeth zog es wie ein eiskalter Hauch. Wenn der Russe kommt. Er sagte es so sicher, als stände er schon vor Nasielsk und warte auf ein Zeichen, durch die Wälder von Sczynno in die Stadt zu ziehen.
    Sie sah sich in dem kleinen Friseurladen um. Fast zwei Jahre hatte sie sich hier frisieren lassen … Pawlek hatte ihr die Haare geschnitten, gewaschen, Dauerwellen gelegt … sie kannte jeden Winkel des kleinen Ladens. Und doch war es heute anders als in den beiden Jahren zuvor. Irgend etwas war verändert, war neu, war gefährlich in seiner Fremde. Die Gardine – oder die neu lackierte Tür … oder ein neu bezogener Sesselsitz. Plötzlich sah sie, was sie erfühlt hatte: Neben dem hinteren Sessel lag in einer Porzellanschale, in der Pawlek sonst den Seifenschaum für die Rasuren anrührte, eine neue, kleine, schwarze Pistole.
    Pawlek Staniswortsky folgte dem Blick Elsbeths. Über sein zernarbtes Gesicht – ein Andenken der Pocken, die er als Kind bekommen hatte – zog ein leises Lächeln.
    »Er isst geladden.«
    »Wenn die deutschen Soldaten das sehen, erschießen sie dich!«
    »Sie werden es nicht sehen! Jeder deutsche Soldat – rrtschscht!« Er fuhr mit der flachen Hand rund um die Gurgel.
    Elsbeth schrie leise auf und wich zurück. Beruhigend wedelte Pawlek mit der Hand.
    »Sie nischt Angst, professori! Sie immär gutt zu mir. Nie geschimpft, nie gehauen, nie gesagt: Dreckiger Pole! Sie immär nett. Immer gesaggt: Liebär Pawlek! Das hatt Pawlek nicht vergässen …«
    »Und wie stellst du dir das vor: Weg von den Russen? Wir bekommen kein Fahrzeug, es fährt kein Zug mehr …«
    »Wir wärden sähen …«

Weitere Kostenlose Bücher