Die Rollbahn
»Es ist so schön, Soldat zu sein, Heidemarie –«
Leutnant Vogel marschierte an seiner Seite. Sie trabten im gleichen Schritt aus dem Dorf hinaus auf die Landstraße, machten einige Schwenkungen und marschierten singend nach Dubrassna zurück.
Vor Kunzes Augen drehte sich die Landschaft. Er hielt den Kopf krampfhaft empor, obwohl er die große Sehnsucht hatte, sich einfach hinfallen zu lassen und die Augen zu schließen. Du infamer Hund, dachte er und schielte zu Leutnant Vogel, der jugendfrisch an seiner Seite schritt und mit heller Stimme sang. Du sadistischer Lümmel! Wenn jemals eine russische Kugel zum Segen wurde, so ist es die, die dich umlegt!
»Noch ein Lied!« sagte Leutnant Vogel genußvoll. »Es geht schon viel besser, Hauptfeldwebel. Sie sehen … beim deutschen Militär ist alles nur eine Willenssache! Wie sagt der Führer: Ich kenne kein Unmöglich! Das ist ein Spruch für richtige Männer! Für germanische Deutsche! Damit erobert man die Welt, Hauptfeldwebel! Es gibt kein Unmöglich! Also – noch ein Lied! Schwarzbraun ist die Haselnuß … Drei – vier!«
Nach zwei Stunden konnte Kunze singen.
Während Leutnant Vogel von Feldwebel Müller III einen wirklich feudalen Kaffee serviert bekam, lag Kunze in seinem Zimmer auf dem Bett und hatte nasse Lappen um seine Füße gewickelt. Simpelmeier, der kurz hereinsah und fragte: »Herr Hauptfeldwebel wollten heute laut Dienstplan Stiefelappell machen!« wurde dermaßen angebrüllt, daß er sofort die Tür schloß und die Schreibstube verließ, um weiteren Dingen zu entgehen.
In der Dunkelheit fuhr Leutnant Vogel zurück zum Bataillon. Ein Mann aus der Kompaniewerkstatt fuhr den Kübelwagen, den sie unversehrt an der Wegkreuzung vorfanden, wo der Gefreite Schmitz ihn hatte stehenlassen.
In der Nacht noch saß der gesamte Troß der 5. Kompanie bei einigen Handlampen in der Küchenscheune Müllers III und sang. Hauptfeldwebel Kunze dirigierte.
»Und wenn wir bis morgen früh singen!« schrie er. »Es hört sich an, als wenn ihr nicht mit dem Mund, sondern mit dem Hintern singt! – Ein Lied! Märkische Heide, märkischer Sand … Drei – vier!«
In der Stellung der 2. Batterie der Feldartillerie, Abteilung 4, saß der Batterieoffizier unter einem aus Blättern geflochtenen Dach und lauschte in die Nacht hinaus. Von fern her vernahm man Gesang … dünn flatterte er durch die Dunkelheit.
»Bei der 5. Kompanie ist Kameradschaftsabend«, sagte er zu seinem Geschützführer 3. »Man merkt, daß an der Front nichts los ist … die Kerle werden übermütig …«
Es war in der darauffolgenden Nacht, als sich Unteroffizier Leskau und Obergefreiter Strakuweit in Dubrassna vom Urlaub zurückmeldeten.
Sie kamen zu einer sehr ungelegenen Zeit.
In Dubrassna lebten trotz der deutschen Besetzung noch sieben russische Bauern. Von diesen sieben war eins ein Mädchen, die Tochter des von den Deutschen versehentlich erschossenen Dorfältesten.
Als die 5. Kompanie in Dubrassna einrückte, hatte sie neun Verwundete durch Partisanenbeschuß. Sie war nervös, müde und wütend. Fedja Igorowitsch Turjetz, der den Deutschen mit friedlichen Absichten durch die Nacht entgegenkam um als Dorfnaschalnik um Schonung der Häuser zu bitten, wurde sofort, als er aus der Dunkelheit wie ein Schemen auftauchte, unter Feuer genommen und getötet. Das hatte Hauptfeldwebel Kunze aber erst erschüttert, als er die Tochter des Erschossenen, Tamara Turjetza, sah, die weinend um ein paar Bretter für den Sarg des Vaters bei ihm bettelte.
Tamara war 20 Jahre jung, etwas drall in den Hüften und der Brust, mit einem breiten, gutmütigen Gesicht, herrlichen Zähnen und tiefschwarzen Haaren, die wie eine Lackschicht ihren Kopf umgaben. Dieser Anblick überzeugte Kunze sofort, daß man auch im gegnerischen Land Mensch zu sein hat, und bewilligte Tamara aus der Werkstatt einige Bretter, die sogar von einem Schreiner zu einer annehmbaren Kiste zusammengenagelt wurden.
Seit diesem Tage hatte sich zwischen Tamara Turjetza und Hauptfeldwebel Kunze so etwas wie eine ›Dankesschuld in Raten‹ herangebildet. Entweder war Tamara, die bei Müller III tagsüber in der Küche half, des Nachts bei Kunze, oder Kunze inspizierte die Unterkünfte des Trosses und blieb bei Tamara, deren Haus das letzte des Dorfes war.
Bei der 5. Kompanie hatte man sich daran gewöhnt. Oberleutnant Faber hatte zwar bei einer Inspektion zu Kunze gesagt: »Hauptfeldwebel! Ich wünsche keinerlei Fraternität zwischen uns
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