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Die Rollbahn

Die Rollbahn

Titel: Die Rollbahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dreifaches Sieg heil – Sieg heil – Sieg heil!«
    Müde, schwitzend, mit trockenen, ausgedörrten Kehlen brummte die kleine Kolonne mit. Dann trugen zwei Oberschützen, die Müller III in der Küche halfen, die Zeltplane mit den Überresten des armen Gefreiten Schmitz aus Köln zu einem Loch, das neben der Straße von Dubrassna ausgeworfen war. Sie schoben die Leiche hinein und griffen nach den Spaten. Leutnant Vogel warf den Kopf in den Nacken.
    »Ich hatt' einen Kameraden!« kommandierte er. »Drei – vier –«
    Die Kolonne, der Troß der 5. Kompanie, sang. Vogels Stimme klang hell aus dem Gebrumm hervor, das sie umgab. Es war Kunzes Pech, daß er beim Singen neben Vogel stand. Schon während des Liedes schielte Vogel mißbilligend auf Kunze hinab. Der Kerl singt wie ein Kohlenträger, dachte er grimmig. Immer einen Ton drunter oder drüber. Kann keine Melodie halten, der Kerl! Und so etwas nennt sich Spieß! Ein Hauptfeldwebel muß singen können – das gehört zu seinen Kompetenzen.
    Nach dem Lied trat Leutnant Vogel an das Grab heran und warf drei Schaufeln russischer Erde auf den Klumpen in der Zeltplane. Er tat es ebenfalls zackig. Nach jedem Erdwurf nahm er die Hacken zusammen. Die letzte Ehre für den scheidenden Kameraden. Dann kam Kunze an den Spaten, dann Müller III, der Troß der 5. Kompanie. Zuletzt Simpelmeier, der das Grab vollends zuschaufelte. Am Ende standen sie noch einmal alle um das Grab und grüßten genau 30 Sekunden in stummer Trauer. Vogel sah dabei auf die Uhr und sagte nach 30 Sekunden knapp: »Danke!«
    Während Müller III quietschend vor Schweiß zu seiner Küchenscheune zurückschwankte und die anderen in die kühleren Häuser verschwanden, winkte Vogel den ahnungslosen Kunze heran.
    »Hauptfeldwebel«, sagte Leutnant Vogel und starrte Kunze wie ein Hypnotiseur an. »Sie haben den Kameraden Schmitz beleidigt!«
    Kunze überlief es kalt. »Wieso?« stammelte er.
    »Wie oft haben Sie den ›Guten Kameraden‹ gesungen?«
    Kunze sah vor sich in den Staub. »Vielleicht 60mal, Herr Leutnant.«
    »Dann haben Sie 60 tote Kameraden beleidigt!« schrie Vogel.
    Über Kunzes dickes Gesicht lief ein Zucken. Der Schweiß perlte ihm unter dem Stahlhelm hervor. Es war ihm, als sei der Helm von der Sonne glühend geworden und verbrenne seinen Schädel.
    »Ich verstehe nicht –«, stammelte er.
    »Sie haben nicht gesungen, Sie haben gegrunzt wie ein satter Stier!« schrie Leutnant Vogel. Die Empörung über einen deutschen Soldaten, der das Lied vom ›Guten Kameraden‹ um ein bis zwei Töne falsch singt, nahm in ihm überhand. »Haben Sie nie Singen geübt?«
    »Singen?« Kunze war zu verblüfft, um zu registrieren, daß die Wiederholung der Frage so etwas wie ein Eingeständnis war.
    Leutnant Vogel rückte seinen Stahlhelm gerade. Das ›markante Gesicht‹ kam wieder zur Geltung. Ein deutscher Soldat ohne Stimme – wo gibt es so etwas? Hier spielt die Begabung keine Rolle … Singen beim Militär ist eine reine Willenssache! Jeder kann singen! Es ist nur eine Sache der Disziplin und der ständigen Übung.
    »Stillgestanden!« brüllte Vogel. Durch Kunzes aufgeweichten Körper fuhr es wie ein Schlag. Er knallte die Hacken zusammen und legte die Hände an.
    Leutnant Vogel musterte ihn. »Hauptfeldwebel – im Gleichschritt – marsch!«
    Kunze marschierte los. Maschinenmäßig … Schritt für Schritt … im vorgeschriebenen Tempo … Neben ihm schritt Leutnant Vogel her, den Kopf hoch erhoben, die Arme durchpendelnd, die Beine in den schlanken Stiefeln im halben Stechschritt vorschnellend.
    »Ein Lied!« kommandierte er. »Es ist so schön, Soldat zu sein, Heiiiiidemarieeee … Drei – vier –!«
    Hauptfeldwebel Kunze brüllte los. Er riß den Mund auf, er warf den Kopf in den Nacken und schrie.
    »Aus!« Leutnant Vogel sah Kunze mißbilligend an. »Sie setzen zu tief an. Zwei Töne höher! Höher! Ich gebe den Ton an! Drei – vier –!«
    Er sang den ersten Takt … dann fiel Kunze pflichtschuldig ein … brummend wie ein Kamel, röhrend wie ein Hirsch. Leutnant Vogel verzog das Gesicht. Der Gesang war ihm fast ein körperlicher Schmerz. Stampfend marschierte Kunze durch Dubrassna; er achtete nicht mehr auf den Schweiß, der sein rotes Gesicht überströmte, er achtete nicht auf die Staubwolken, die unter seinen Tritten aufwirbelten, er spürte keine Sonne mehr, keine Hitze, keine Blicke der vor Begeisterung stumm den Mund aufreißenden Leute seines Trosses. Er marschierte und brüllte:

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