Die Rollbahn
Gruppen. Ich brauche acht Freiwillige.«
»Stoßtrupp?« fragte Brösel ahnungsvoll.
»Gefangene kassieren. Der Alte kommt selbst nach vorn.«
»Der ›schneidige Willi‹? Dann stinkt's.« Brösel kratzte sich hinter den Ohren und griff nach seinem Koppel mit der 08-Pistole.
»Er will die Gefangenen selbst verhören.«
»Wenn wir welche machen.«
»Wir müssen es!« Faber erhob sich und setzte die Feldmütze auf. »Früher sagte man: Geld spielt keine Rolle … heute heißt es: Blut spielt keine Rolle. Leben spielen keine Rolle. Und deshalb will ich nicht befehlen, sondern Freiwillige nehmen.« Er trat aus dem Bunker und beugte den Kopf etwas herunter. Wenn er sich normal hinstellte, sah die obere Rundung seines Stahlhelmes aus dem Graben hervor. Das genügte den sibirischen Scharfschützen schon, um zu ballern. »Ich kann keinen Tod befehlen«, sagte er leise. »Ich käme mir wie ein Mörder vor.«
Faber und Brösel rannten mit eingezogenem Kopf durch den Laufgraben hinüber zu den Erdbunkern, die wiederum durch Quergräben miteinander verbunden waren. In einigen kleinen Ausbuchtungen lagen hinter zugedeckten Maschinengewehren die Horchposten und Wachen. Zu ihnen führten auch die Drähte, an denen die leeren Konservenbüchsen hingen. Wenn sie klapperten – und sie klapperten dann kilometerlang die deutschen Stellungen entlang –, fuhren die Landser aus den Bunkern in den Graben und warfen sich hinter die Gewehre und die Kisten mit Handgranaten. Der Russe kommt! hieß dies. Der Iwan. Sein Urrää gellte dann über das Land … der Schlachtruf, entnervender als alle Stalinorgeln.
Die Gruppe Leskau war der erste Bunker, den Faber betrat. Leskau saß am Tisch und klopfte mit Strakuweit und einem anderen Gefreiten einen Skat. Sie spritzten empor, als Strakuweit »Achtung!« brüllte, und warfen dabei den wackligen Tisch um.
Faber winkte ab. »Wie oft soll ich euch sagen, den Blödsinn zu lassen? Wir sind an der Front und nicht auf dem Kasernenhof. Setzt euch. Ich spiele eine Partie mit.«
Strakuweit räumte seinen Platz und stellte sich hinter Oberleutnant Faber. Er blinzelte Leskau, der kurz zu ihm aufsah, zu. Paß auf, Junge, hieß das. Der Alte ist jovial wie selten … es liegt eine dicke Scheiße in der Luft.
Oberleutnant Faber griff in die Seitentasche und holte eine Flasche Cognac hervor. Er stellte sie auf den Tisch. Strakuweit nickte. Na also … wo Schnaps ist, ist auch der Heldentod.
»Jetzt reizt der Herr Oberleutnant«, sagte er anzüglich. Faber legte die Karten hin.
»Ich brauche acht Freiwillige, Leskau. Das Regiment befiehlt einen Stoßtrupp zum Einbringen von Gefangenen.«
»Das alte Lied. Kaum ist es still an der Front, juckt den Herren da hinten der Arsch.«
»Strakuweit!« Oberleutnant Faber sah zu dem Obergefreiten empor. »Es hat ja keiner gesagt, daß Sie hinaus sollen.«
Strakuweit sah Faber mit großen Augen an. »Was würden die draußen tun ohne Strakuweit? Das geht doch nicht.«
»Sie sind werdender Vater, Strakuweit.«
»Es kann noch eine Fehlgeburt werden, Herr Oberleutnant.«
Faber winkte ab. Es war sinnlos, mit Strakuweit zu diskutieren. Es war verlorene Zeit. Er wandte sich wieder Leskau zu. »Fragen Sie in Ihrer Gruppe nach. Ich gehe zu den anderen. Um 23 Uhr 30 sammeln sich die acht Freiwilligen bei Gruppe 3. Der Kommandeur wird selbst kommen.«
»Dann rappelt's«, wiederholte Strakuweit.
Leskau schob die Skatkarten zusammen und legte sie auf ein Holzbord neben seinem Bett.
»Wir brauchen noch sechs Mann, Herr Oberleutnant.«
Faber schwieg. Er verstand ohne Fragen. Er grüßte und verließ den Bunker. Strakuweit begriff erst, als Faber draußen war, und riß Leskau am Arm herum.
»Du bleibst hier!« sagte er grob. »Ich bin nur ein armer Idiot … aber dich brauchen sie später.« Er nahm Leskau das Koppel weg, das er umschnallen wollte. »Hörst du … du gehst nicht mit 'raus!«
»Gib das Koppel her!« schrie Leskau. »Wir haben siebzig Prozent Familienväter in der Kompanie und zwanzig Prozent halbe Kinder! Sollen die 'raus? Willst du das wirklich?«
Und Strakuweit schwieg und gab Leskau das Koppel zurück …
In Dubrassna hatte Hauptfeldwebel Kunze andere, gewichtigere Sorgen. Der Kessel der Feldküche war durch den Feuerüberfall der Russen so durchlöchert worden, daß Küchenbulle Feldwebel Müller III die Versorgung der 5. Kompanie mit warmem Essen nicht mehr garantieren konnte.
»Wir haben versucht, den Kessel zu löten«, sagte Müller III.
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