Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rollbahn

Die Rollbahn

Titel: Die Rollbahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Über sein Pferdegesicht zog die Zufriedenheit des Mächtigen. Das Bewußtsein, ein Herrenmensch zu sein, ergriff ihn. In seiner Hand lag das Schicksal von Tausenden. In seiner Hand lagen sogar Leben und Tod, Sattsein und Hungern, Entsagung und Liebe, Freiheit oder Fron, lag das ganze Leben.
    »Ich heiße Hubert«, sagte er verbindlich.
    »Ein seltener Pferdename«, erwiderte Inge.
    Der SD-Mann lächelte gequält. »Ihre Frechheit gefällt mir. Sie reizt mich sogar. Wer sonst hier hereinkommt, kriecht auf dem Bauche, und die Weiber, die ich ansehe, knöpfen ohne Aufforderung die Kleider und Blusen auf. Ich könnte Sie zur Sekretärin machen mit einem wahnsinnigen Gehalt und der nötigen Freizeit für ein seltenes Privatleben. Und das im fünften Kriegsjahr.«
    »Danke.« Inge trat einen Schritt zurück. »Ich bin auf eine Einweisung des Amtes zu Ihnen gekommen, um zu arbeiten. In einer Fabrik, und nicht auf Ihrer Couch. Wenn das, was Sie mir anboten, alles ist, kann ich ja gehen. Ich werde dem Amt dann mitteilen, daß ich nicht wußte, daß Bordelle kriegswichtig sind.«
    »Halt!« Der SD-Mann hob die Hand, als Inge sich umdrehte und den Raum verlassen wollte. »Sie bleiben! Sie lehnen mein Angebot ab?«
    »Ich könnte Ihnen dafür ins Gesicht schlagen, wenn Sie näher vor mir stünden.«
    »Wie Sie wollen, Fräulein Reichsbahnrat. Ihren Vater haben wir 1933 hochgehen lassen. Er verdankt es nur der Fürsprache des Reichsbahnpräsidenten, daß er nicht im KZ Buchenwald ist! Mit seiner Tochter werden wir weniger zimperlich vorgehen! Wir werden die Keime jeder Auflehnung ersticken! Wir werden es Leuten Ihres Schlages zeigen, welcher Geist im neuen Deutschland herrscht! Haben Sie mich verstanden?« Seine Stimme überschlug sich grell und zerbrach.
    Inge schwieg. Wachstuch … dachte sie. Wachstuch … Wachstuch … Wisch es draußen wieder ab von dem Schmutz und der Geilheit … laß alles abtropfen an Gemeinheit und Drohung.
    »Warten Sie draußen!«
    Sie verließ den Raum und kam sich erlöst vor, als sie in dem Vorzimmer stand. Das Atmen wurde leichter, der innere Druck ließ nach … es war, als käme man aus einem überhitzten Treibhaus an die klare, frische Luft.
    Nach zehn Minuten brachte eine Stenotypistin die Einweisung Inges.
    Zu melden morgen um 10 Uhr vormittags in Berlin, Wilmersdorfer Straße 10. Arbeitseinsatz in Verlagerungsbetrieb V, Arbeitsgruppe III, Lohnstufe II.
    Inge starrte auf das Papier in ihrer Hand. Jetzt zitterte sie. Die Buchstaben verschwammen vor ihren Augen.
    »Nach Berlin …«, sagte sie leise. Ihr Kopf zuckte empor. »Ich möchte den Personalchef sprechen …«
    »Herr Burger ist aus dem Haus gegangen«, sagte die Stenotypistin wie eine Grammophonplatte, die nur den einen Satz abspielt.
    »Ich muß ihn aber sprechen!«
    »Bedaure.«
    »Man kann mich doch nicht von Königsberg wegtun? Wer soll sich um meinen Vater kümmern? Was soll ich denn in Berlin? Dort kenne ich keinen, dort bin ich ja ganz allein … Ich muß …«
    »Herr Burger ist …«
    Inge kümmerte sich nicht mehr um das Mädchen. Sie schob es aus dem Weg, riß die Tür des Chefzimmers auf und rannte in den großen Raum. SD-Mann Hubert Burger stand am Fenster und rauchte gemütlich eine Zigarette. Er nickte der wütenden und aufgelösten Inge zu und zeigte auf einen Stuhl.
    »Na? Sehen wir uns so schnell schon wieder? Hast du es dir überlegt, mein Mädchen?«
    »Was soll ich in Berlin?«
    »Hören, wie die Bomben vom Himmel pfeifen! Sehen, wie man Leichen ausgräbt. Anfassen, wenn man verbrannte Menschen, zusammengeschrumpft auf Kindergröße, an den Straßenrändern stapelt. Du wirst auf ein kleines Pfeifen von mir mit wehenden Röcken zurück nach Königsberg kommen.«
    »Eher werde ich verrecken!«
    »So schöne Lippen sollten so schlechte Worte nicht sagen. Entschließe dich, mein Mädchen. Der Sekretärinnenstuhl bei mir ist noch frei …«
    Wortlos verließ Inge das Zimmer. Mechanisch, fast marschierend, setzte sie die Schritte. Nicht schwanken, befahl sie sich. Nicht zittern, nicht unsicher werden, auch wenn dir der Schrei ganz vorn in der Kehle sitzt und du die Lippen zusammenbeißen mußt, damit er nicht hinausdringt und gegen die kahlen Wände gellt. Bleibe hart, Inge, geh voran, Schritt für Schritt … er sieht dir nach, dieses Schwein, dieses geile Tier … er wartet nur darauf, daß du zusammenbrichst.
    Wachstuch … Wachstuch … Wachstuch …
    Draußen, auf der Straße, lehnte sie sich gegen die Mauer, die

Weitere Kostenlose Bücher