Die Rollbahn
ist der Wald«, sagte Major Schneider. Sein Zeigefinger, nikotinbraun (es ging die Sage, daß der ›schneidige Willi‹ täglich die Ration einer normalen Kompanie verrauchte), fuhr über das Luftbild, »und hier tut sich was! Er ist 7 km lang und fast 4 km breit. In ihm muß der Iwan Panzer gesammelt haben und schwere Artillerie. Wir haben versucht, mit Bombern den Wald zu behämmern … aber was ist das schon? Wir können nicht 7 Kilometer umpflügen. Das Regiment will wissen, was sich in diesem Wald tut. Daher brauchen wir einen Gefangenen der gegenüberliegenden russischen Kompanie.« Major Schneider gab Fritz Leskau die Hand und sah ihn mit großen Augen an. »Viel Glück, Unteroffizier! Mehr kann ich Ihnen nicht wünschen.«
Die Uhren wurden noch einmal verglichen, Strakuweit kauerte am Grabenrand und aß Kekse, Major Schneider beobachtete durch das Nachtglas die russischen Stellungen, Faber besprach noch einmal leise mit Leskau den Plan. Im Bunker der Gruppe Leskau saßen Leutnant Vogel (sehr blaß) und Oberfeldwebel Kunze (noch blasser) und wußten nicht, was sie hier sollten. Sie kamen sich ›deplaciert‹ vor (würde Vogel sagen). Irgendwo in der Ferne, im Abschnitt des 4. Bataillons vielleicht, kam leichtes Störfeuer auf. Leuchtkugeln zauberten fahle Lichteffekte an den Nachthimmel, ein einsames Maschinengewehr hämmerte.
»Die Front erwacht«, sagte Leutnant Vogel heroisch.
Kunze nickte. Er saß auf einem Schemel und starrte vor sich hin. Ihm war übel. Mein Magenleiden, dachte er. Mein gutes altes Magenleiden. Ich muß mich doch einmal krank melden. 14 Tage in der Krankensammelstelle werden mir gut tun. Vielleicht sieht dann hier schon alles anders aus.
Leskau stand mit seinen sieben Mann in einer der Beobachtungsausbuchtungen des Grabens. Er sah auf die Uhr und nickte.
»Los, Jungs …«, sagte er leise. »Und immer in Sichtweite voneinander. Haltet den Spaten fest, damit er nicht klappert. Ab!«
Sie rollten sich über den Grabenrand und lagen im Niemandsland. Auf dem Bauche robbten sie durch die Minengasse, schoben sich durch den Drahtverhau und krochen weiter in die Dunkelheit hinein … den russischen Linien entgegen und der schwarzen Wand, die sich gegen den Nachthimmel abhob wie ein riesiger Vorhang … Der Wald von Bajewo.
Leskau und Strakuweit krochen Seite an Seite über die Erde. Hinter ihnen klapperte leise der Gefreite Lönne mit dem leichten MG. Er sollte den Feuerschutz übernehmen, wenn sie auf den Gegner stießen. Strakuweit kroch näher an Leskau heran. Er schleppte einen kleinen Sack auf dem Rücken mit, einen Sack mit Handgranaten. Sie waren zu geballten Ladungen zusammengebunden und dienten als wirksames Mittel zum Bunkerknacken.
Um sie herum lag die nächtliche Welt in vollkommener Stille. Es war, als gäbe es keinen Krieg. Die Erde atmete die Hitze des Tages zurück … es roch nach verbranntem Heu. Vom Erdbunker III aus beobachteten Major Schneider und Oberleutnant Faber die Bewegungen der kleinen Gruppe; bis sie in einer Bodenwelle verschwanden. Auch Vogel stand jetzt im Graben und identifizierte sich mit dem Heldentum der acht Freiwilligen. Er war stolz auf deutsches Mannestum und hatte wieder sein ›markantes Gesicht‹ aufgesetzt. Hauptfeldwebel Kunze stand bei Bunker II und hatte eine leise, aber erregte Unterhaltung mit dem Oberschützen Pille. Kunze war erschüttert. Pille, die Generalflasche, lief im Graben nicht mit dem Stahlhelm herum, sondern im Schiffchen. Das war gegen Kunzes Vorstellung vom Dienstanzug im Graben, und er belehrte Pille solange, bis dieser leise, aber ebenso bestimmt sagte: »Ich werde mir nächstens beim Scheißen Orden und Ehrenzeichen anlegen.«
Unterdessen krochen Leskau und seine sieben Mann durch die Bodenwelle parallel zur russischen Linie durch das Gelände. Wenn sie den Kopf hoben, sahen sie vor sich in greifbarer Nähe die sowjetischen Drahtverhaue und das verminte Vorfeld der russischen Gräben. Leskau hob kurz die Hand. Die acht Mann blieben liegen und schoben sich zusammen. Strakuweit legte den Handgranatensack zur Seite und benutzte ihn als Kopfkissen.
»Was nun?«
»Großer Mist«, sagte der Gefreite Lönne und stellte sein MG auf die Spreizfüße.
»Wie willst du durch die Minenfelder durch?« Strakuweit sah Leskau mit heruntergezogenen Lippen an. »Wir werden wie die Engelchen emporschweben.« Er wollte weiter sprechen, als Leskau ihn in den Arm kniff. Strakuweit verzog das Gesicht. Dann duckte er sich und stieß Lönne
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