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Die Rollbahn

Die Rollbahn

Titel: Die Rollbahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schuß ging weit daneben in die eingestürzte Küchenscheune.
    Kunze senkte den Kopf. Er wußte, wem der Schuß gegolten hatte. Er biß die Lippen aufeinander und stampfte weiter. Am Waldrand erwartete ihn Tamara.
    »Dai mnje twoju Ruku …«, sagte sie (Gib mir die Hand).
    Sie ergriff Kunzes Rechte und zog ihn auf einem Pfad weiter in das Dickicht hinein.
    Julius Simpelmeier lag auf einem Balken des eingefallenen Bauernhauses und sah in die Sonne. Sie war blaß für seine Augen geworden, eine fahle Scheibe, die seine Pupille nicht mehr blendete. Mit der Hand umklammerte er die 08-Pistole. Er spürte, wie das Blut aus der grauenvollen Wunde seines Schenkels von ihm wegrann in den Staub der Straße von Dubrassna.
    Er war nun allein. Um ihn schwieg die russische Weite. In ein oder zwei Stunden würden die Sowjets nach Dubrassna kommen, so, als gingen sie spazieren.
    »Erna«, sagte Simpelmeier leise. »Erna … wie schön war die Zeit, die wir zusammenlebten. Und unsere drei Kleinen … sind sie nicht süß? Mach aus ihnen ganze Menschen, Erna. Trauere nicht ewig … leb weiter für die Kinder, Erna. Du wirst nie erfahren, wie ich gestorben bin … und das ist gut so. Jeder wird sagen: Er war ein Held. Und dabei ist er verreckt wie ein Hund. Glaube an diesen Helden, Erna … glaube wenigstens daran, wenn du den Glauben an alles andere verlierst. Vor allem den Glauben an Gott! Wo ist Gott? Was haben wir getan, daß er uns so straft? O Erna … mach aus den drei Kleinen richtige Menschen.« Er weinte und umklammerte den Griff der Pistole. Er war kalt in seinen Fingern und klebte doch an der Haut. »Und nun leb wohl, Erna … Wenn du wüßtest, daß ich zuletzt an dich gedacht habe … Ich habe euch alle so geliebt … dich und die Kinder … Es gab für mich nichts auf der Welt als euch … Lebt wohl, ihr … ihr … Erna … Martel … Bärbel … und Peterle …«
    Er riß den Mund auf und schob den Lauf der Pistole zwischen die Zähne bis hinten in den Rachen.
    Und er sah noch einmal in die Sonne und wunderte sich, daß sie ihn wieder blendete …
    Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt: 24. Juni 1944
    … im mittleren Frontabschnitt nahm der sowjetische Großangriff an Wucht zu und dehnte sich auf weitere Abschnitte aus. Während zwischen dem Pripjet und Tschaussy alle Angriffe erfolglos blieben, gelang es starken feindlichen Infanterie- und Panzerkräften östlich Mogilew beiderseits der Smolensker Rollbahn und beiderseits Witebsk in unsere vordersten Stellungen einzubrechen. Die Abwehrschlacht geht hier mit steigender Heftigkeit weiter …
    In einem Waldstück südlich der Rollbahn saßen Faber, Leskau, Strakuweit und einige Landser. Sie waren zum Umfallen erschöpft und lehnten mit den Rücken an den Bäumen. Faber hatte einen kleinen Haufen vor sich liegen … einige Büchsen mit Fleisch, Keksbeutel, flache, dunkle Dosen, Marmelade, einige Brote … ein armseliger Haufen, um den die sich Versteckenden saßen und stumm hinwegblickten.
    Strakuweit kaute an einem faserigen Holzstück und versuchte damit seinen brennenden Durst abzuschwächen. Leskau nickte, als Faber zum zweitenmal ansetzte und die kleine Truppe zählte.
    »Es stimmt, Herr Oberleutnant … 12 Mann. Die ganze 5. Kompanie.«
    Faber senkte den Kopf. Sein unrasiertes, schmutziges, stoppelbärtiges Gesicht sah alt aus. Nichts war an ihm mehr von der Jugend, von der einmal Major Schneider gesagt hatte: »Faber … Sie sind jetzt 28 Jahre alt und sehen aus wie ein Sekundaner! Was muß kommen, damit Sie älter werden? Ich kann Sie nie zum Hauptmann machen, wenn Sie aussehen wie ein Gymnasiast.« Nun war er gekommen, dieser Schlag, der aus dem jungen Faber einen Greis machte; nur wenige Stunden hatten genügt, dieses fröhliche Gesicht zu zerstören und in ihm Runen einzugraben, die ein ganzes weiteres Leben nicht wieder wegwischen konnte.
    12 Mann … die 5. Kompanie. Und seitwärts von ihnen, auf der Rollbahn, fluteten die Russen nach Westen … nach Orscha, Tolotschino, Bobr, Borissow … Man konnte sie hören bis weit in die Wälder hinein, die ganze Welt schien aus Panzerdröhnen zu bestehen, aus Motorengebrumm, Kettenklirren, Pferdeschnauben und nachrückender Artillerie, deren Abschüsse immer näher kamen.
    Oberleutnant Faber teilte den kleinen Berg Verpflegung in genau zwölf Teile. Er zählte jeden einzelnen Keks vor und wog die Marmelade mit einem Blechlöffel ab. Als sie von der HKL vor den anrückenden Panzermassen flüchteten und sich wie

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