Die Rollbahn
einen ganzen Kanister Wodka da. So friedlich sitzen sie um ihr Feuerchen, als gäbe es keinen Krieg. Die denken, die Deutschen sind schon in Polen.«
Faber tippte Strakuweit und Leskau an. »Wir holen die anderen.«
»Und den Wagen?« fragte Strakuweit mit angehaltenem Atem.
»Den holen wir auch.«
In dieser Nacht vollzog sich eines der Dramen am Rande des Krieges. Ein Drama seitlich der Rollbahn, über die die Divisionen der Sowjets nach Orscha rollten, zu der Stadt, deren brennende Häuser den Himmel im Westen fahlgelb färbten und durch deren Straßen die deutschen Truppen zogen, um am Dnjepr den Vorstoß der tausend Panzer abzufangen. Ein Kampf, vor dem alles bisher Geschichtliche verblaßte, ein einmaliger Kampf ohne Beispiel, solange Männer Waffen tragen, ein Kampf, tragischer als der Fall Stalingrads, umfassender, blutiger, gewaltiger und in seinen Auswirkungen unvergleichbar.
Das kleine Drama seitlich dieser Rollbahn war ein sekundenschnelles Unternehmen.
Wassilij Poloneff und Stary Skoloniewsky holten von ihrem schönen, neuen, aus einer amerikanischen Waffenlieferung stammenden Geländewagen einige Büchsen Schweinefleisch, als sie zwei Hände um ihren Hals fühlten. Sie waren so verblüfft, daß sie sich nicht wehrten und nicht schrien … und als sie sich wehren wollten, blieb ihnen die Luft bereits so schnell weg, daß sie röchelnd in die Knie brachen, um sich schlugen und dann nichts mehr wußten.
Strakuweit nahm den Helm seines Russen ab und stülpte ihn über seinen breiten, haarigen Schädel. Er paßte. Auch der Gefreite Krahn, der den zweiten Russen zur Seite legte, setzte sich den Helm auf. Hinter dem Wagen tauchten Faber, Leskau und die anderen auf.
»Job twojemadj«, sagte Strakuweit laut. Vom Lagerfeuer her antwortete ihm Lachen. Eine helle Stimme rief ihm etwas zu. Strakuweit nickte.
»Gleich, mein Junge«, sagte er leise.
Sie gingen um den Wagen herum und standen im Schatten des Feuerscheins. Die fünf Russen kochten in einem Eisenkessel eine dicke Suppe aus Graupen. Kasch, neben Kapusta die Hauptnahrung der Truppen. Strakuweit umklammerte seinen Spaten und sah auf Faber und Leskau. Sie blinzelten ihm zu.
»Uff!« sagte Strakuweit laut, und dann rasten einige Schatten über die fünf kochenden Russen, warfen sich auf sie, lautlos, verbissen, einige Spatenblätter blitzten im Feuerschein auf, Stöhnen, Röcheln, ein lautes Gurgeln … der Gefreite Krahn drückte seinen Russen mit dem Gesicht in das aufsprühende Feuer und setzte sich auf den zuckenden Körper, bis er erschlaffte.
Es geschah alles so schnell, so ohne Lärm und Heroismus, daß Strakuweit erstaunt um sich blickte, als Faber ihm auf die Schulter schlug und sagte:
»Nun laß den Toten in Ruhe! Wir müssen mit dem Wagen in dieser Nacht noch weit kommen.«
Bevor sie abfuhren, unternahmen Strakuweit und der Gefreite Krahn noch einen Uniformwechsel. Sie zogen die ihnen passenden russischen Uniformen an und kletterten als echte Iwans auf den Fahrsitz des Geländewagens. Faber schüttelte den Kopf.
»Wenn das gut geht, Jungs.«
»So fahren wir mitten unter den Iwans über die Rollbahn nach Hause!« schrie Strakuweit fröhlich. Eine krampfhafte Lustigkeit hatte sie alle erfaßt … es war, als sei ein Druck von ihnen genommen, als löse sich ihre fatale Hoffnungslosigkeit durch eine unbändige Lebensfreude ab. Sie hatten einen Wagen … sie hatten einen Wagen … sie hatten wieder ein Ziel, eine Zukunft … sie waren nicht mehr Verlorene, sie wurden zu Ausbrechenden, zu einem Klumpen eisernen Willens, für den es keine Entfernungen mehr gab, keine russischen Armeen, keine Gefahren, sondern nur das Bewußtsein: Wir kommen nach Hause! Wir brechen durch! Wir sehen die Mutti wieder …
Oberleutnant Faber klopfte auf den Stahl des Wagens und der Ketten. Auch ihn steckte die Fröhlichkeit an … er freute sich wie ein Kind über ein Riesenspielzeug.
»Aufgesessen, Kerls! Und mach keinen Quatsch, Strakuweit! Wir fahren durch die Wälder zurück! Die Rollbahn ist tabu!«
»Das schöne Sträßchen«, sagte Strakuweit. Er war aus dem Häuschen … er schäumte über vor Freude. In seiner russischen erdbraunen Uniform mit dem Stahlhelm, den er schief aufgesetzt hatte, sah er wirklich wie ein echter Russe aus, wie ein Muschik aus den weiten Feldern von Miljetsch. Der Gefreite Krahn neben ihm, kleiner, zierlicher, konnte aus der Ukraine stammen oder von den einsamen Dörfern an der Wolga, ein kleiner zäher Pelztierjäger, der im
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