Die Rollbahn
geschah. Aber es geschah nichts. Strakuweit wischte sich über die Stirn und sah an Oberleutnant Faber vorbei in Richtung auf die Rollbahn.
»Wir sollten uns einen Wagen klauen«, sagte er.
»Was sollten wir?« fragte Faber verblüfft.
»Einen Wagen klauen. Es liegen genug herum … deutsche oder russische. Der Iwan zieht auf der Rollbahn weiter … aber neben der Rollbahn gibt's ja auch noch Straßen. Die sind für uns.«
»Sie werden von Partisanen bewacht.«
»Natürlich. Ein Wochenendausflug mit Musik und Weibern wird's natürlich nicht werden. Aber wir kommen so weiter! Und wir sind schneller als der Iwan.«
Oberleutnant Faber wandte sich ab und lächelte still. Er sprach nicht mehr über Sibirien mit Strakuweit. Leskau trat an ihn heran.
»Wenn wir in der Nacht versuchen, einen Wagen flottzumachen, Herr Oberleutnant …«
»Natürlich versuchen wir es. Mehr als draufgehen kann uns nicht passieren.«
Drei Kilometer weiter zog Major Willi Schneider durch den Wald. Aber er ging nicht nur geordnet mit seinem kleinen Haufen zurück … er sammelte auch. Leutnant Vogel auf dem linken und Stabsarzt Dr. Wensky auf dem rechten Flügel, pirschten sie weit auseinandergezogen durch das Waldstück und lasen vereinzelte, müde, ängstliche Landser auf, die im Unterholz lagen und auf die Nacht warteten. Leute der 3. und 4. Kompanie, einige Panzerfahrer, denen man die Tigerpanzer weggeschossen hatte, vier Artilleristen mit einem Spieß, der im Gegensatz zu Kunze ein MG 42 mit sich herumschleppte und Major Schneider bald erschossen hätte, als dieser durch den Wald brach wie ein wütender Bär. In einem dichten, fast urwaldähnlichen Stück, durch das nur ein schmaler Pfad führte, stießen sie auf eine intakte Gruppe der 3. Kompanie mit zwei MGs, einem Granatwerfer, genug Munition und einem Feldwebel, der beim Erscheinen des ›schneidigen Willi‹ laut sagte: »Jungs, das ist schlimmer als Gefangenschaft!«
»Na also«, sagte Major Schneider und versammelte seine neue Truppe um sich. Er zählte sie durch und nickte erfreut. »Dreiundvierzig Mann! Bewaffnung gut. Was wollen wir mehr? Mit dieser Armee marschiere ich bis Rathenow zu meiner Frau. Oder sind Sie anderer Meinung, Vogel?«
Leutnant Vogel nahm die Hacken zusammen. Seine immer saubere Uniform hatte sehr gelitten. Auch sein Optimismus war angenagt, und seine Parolen kamen ihm in diesem Augenblick selbst leer und fade vor. Aber wie ein Asiate sein Gesicht wahrt, behielt auch Vogel seine Haltung.
»Und wenn wir die letzte Kompanie sind, Herr Major … wir geben nicht auf!«
Und sie marschierten. Auseinandergezogen … in Gruppen … vorweg ein Spähtrupp, dann eine Vorgruppe mit einem MG, anschließend der Haupttrupp mit Vogel und Dr. Wensky, am Ende eine Nachhut mit den Granatwerfern und den vier Panzermännern. Major Schneider, wie konnte es anders sein, befand sich bei dem Vortrupp. So marschierte die kleine Truppe, entschlossen bis zum letzten, neben der Rollbahn her zum Dnjepr, auf Orscha zu, das seit Stunden unter mörderischem Beschuß lag.
Sie marschierte die ganze Nacht hindurch. Sie schlug einen Bogen, weil das Leuchten offener Feuer das Biwakieren sowjetischer Truppen anzeigte, und kam so in das Gebiet, durch das sich Faber mit seiner Handvoll Landser schlich. Katzen gleich, die eine Beute witterten, glitten sie lautlos durch die Nacht und suchten einen guten russischen Wagen …
Mit der Witterung eines Raubtieres führte Strakuweits Weg durch den Wald auf die Rollbahn zu. Auch er sah die Feuer, aber er wich ihnen nicht aus … er umging sie und näherte sich ihnen wieder. Wo Feuer sind, sind Iwans. Wo Iwans sind, sind Fahrzeuge. Und wo ein Fahrzeug ist, ist ein Weg in die Freiheit und das Weiterleben.
Faber und Leskau lagen hinter einem dichten Busch, als Strakuweit zurückgekrochen kam. Er warf sich neben die beiden auf den Rücken und sah in den fahlen Nachthimmel, der nur fleckenweise durch die dichten Baumkronen hereinsah. Um sie herum war schwärzeste Nacht, durch die man fern das Motorengeräusch auf der Rollbahn vernahm.
»Ein wunderbarer Wagen«, sagte Strakuweit seufzend. »Ein Gedicht von einem Wagen. Russischer Geländewagen mit Stahlraupen. Vollgetankt … auf dem Kühler und hinten drauf Benzinkanister. Kinder, Kinder … das war 'ne Wonne!«
Oberleutnant Faber schwieg. Nach einer ganzen Weile Schweigen fragte er:
»Besatzung?«
»Sieben Mann. Sitzen um ein Feuerchen und fressen und saufen. Fünf Tataren. Gelbe Affen. Die haben
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