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Die Rollbahn

Die Rollbahn

Titel: Die Rollbahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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fluchen. Er kam sich ungeheuer tragisch vor, verraten, ausgestoßen, verkannt und hingemordet.
    Major Schneider stand mit Leutnant Vogel und Oberleutnant Faber neben dem Mannschaftswagen, als Kunze mit Tamara und Steigert auf die Lichtung trat, in den Kegel des Scheinwerfers hinein, den Strakuweit wie bei einer Theateraufführung voll einschaltete. Kunze blinzelte etwas, geblendet, fast angesprungen von dem Schein, und nahm trotz seiner Fesselung stramme Haltung ein. Irgendwo hinter dem Lichtstrahl ahnte er Major Schneider … sonst war es still um ihn. Keiner sprach ein Wort, keine laute Bemerkung flatterte zu ihm hin … er hörte nur das Atmen vieler Männer und spürte eiskalt in sich das Bewußtsein: Du bist ja schon tot! Für die da bist du schon tot! Es ist kein Empfang – es ist ein Begräbnis.
    Tränen schossen in seine dicken Augen … er starrte wie durch einen Schleier auf den Scheinwerfer.
    »Hauptfeldwebel Kunze!« sagte eine harte Stimme.
    Kunze zuckte zusammen. Oberleutnant Faber … Er lebte auch noch! Kunze sah starr geradeaus. Die Tränen rannen ihm über die dicken Backen in die Mundwinkel.
    »Sie kennen das Kriegsrecht?«
    »Ja, Herr Oberleutnant.«
    »Feigheit vor dem Feind, Desertion, Kameradendiebstahl, Verweigerung der Hilfeleistung, die in diesem Falle schon Mord ist …«
    Oberleutnant Faber stockte. Er dachte an den kleinen Brehm, der krepieren mußte, weil Major Schneider einen Russen für wichtiger hielt. Er sah kurz zu Major Schneider neben sich und begegnete dessen Blick. Sie verstanden sich in diesem sekundenschnellen Anblicken. Schneider hob die Hand. Seine Stimme war kalt, gefühllos, fast synthetisch.
    »Was erwarten Sie, Hauptfeldwebel?«
    Kunze schluckte. Er leckte mit der Zunge die Tränen ab, die sich auf seiner Oberlippe sammelten. Seine Stimme flatterte durch die Stille und durch den Kegel des Scheinwerfers.
    »Ich … ich … Herr Major …«
    Plötzlich weinte er laut wie ein Kind und sank in die Knie. Er senkte den Kopf, als sollte er durch einen Schwerthieb hingerichtet werden. Es war ein unwürdiges Schauspiel.
    »Stehen Sie auf!« sagte Major Schneider heiser.
    »Ich … ich … Herr Major …«
    Strakuweit kaute an dem Nagel seines Daumens. Leskau ging um den Wagen herum in die Dunkelheit und wandte sich weg. Er empfand Ekel vor diesem Schauspiel. Es war ein Zusammenbruch von Männlichkeit und Stolz, der ihn erschütterte, auch wenn er gegen Kunze Haß empfand und sich sagte, daß er mehr als einmal den Tod verdient habe. Nur dieses Schauspiel ekelte ihn an, diese Entpersönlichung eines Menschen, dieses Verjauchen der Seele. Mit zitternden Händen steckte er sich eine Zigarette an und bemühte sich, nicht zu hören, was jenseits des Wagens vor sich ging.
    Major Schneider nestelte an seinem Koppelzeug. Er war nervös. Es war nicht sein erstes Standgericht … aber es war das erste, dessen Irrsinn er selbst einsah. Wenige Kilometer neben ihnen zogen die russischen Divisionen auf der Rollbahn nach Westen, mit dem großen Ziel, hineinzufluten nach Deutschland, Rußland zu befreien und die Weltrevolution über ganz Mitteleuropa zu jagen, Nachkommen eines Dschingis-Khan, denen das geschwächte, ausgeblutete Europa keine eisernen Reiter mehr entgegenstellen konnte. Um sie herum lagen in den Wäldern die gnadenlosen Partisanen, Wölfen gleich, die ausgehungert das deutsche Wild schlugen, wo immer sie es fanden. Und nun stand Major Schneider hier in einer Lichtung des Waldes und sollte einen erbärmlichen Mann zum Tode verurteilen und hinrichten lassen, weil er ein Feigling war, ein Kameradenschinder, ein Dieb.
    Major Schneider schielte zu Vogel hinüber. Er sah dessen Augen vorquellen, sein Mund zuckte hysterisch, Schweiß stand auf seiner Stirn, ab und zu leckte er sich über die trockenen Lippen. Für ihn war dieses Schauspiel eine fast geile Befriedigung. Voll Ekel zuckte Schneiders Kopf herum und zu dem wimmernden Kunze, der noch immer auf dem Waldboden kniete und seinen Nacken in den Scheinwerfer streckte.
    »Stehen Sie auf!« brüllte Schneider grell.
    Kunze zuckte empor und erhob sich. Sein dickes Gesicht war farblos … es war schon gestorben.
    »Wo ist der Troß?«
    »Vernichtet, Herr Major«, sagte Kunze schwach.
    »Alles?«
    »Alles.«
    »Keine Überlebenden, keine Verwundeten?«
    Kunze sah Simpelmeier vor sich … den schmächtigen Simpelmeier mit seinen drei Kindern, wie er sein zerfetztes Bein hinter sich herzog und bettelnd hinter ihm herkroch … Kunze, nimm

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