Die Rollbahn
Wagen gelaufen.«
Dr. Wensky hob die Schultern. »Ich habe nichts gesehen. Es ging alles so schnell. Er wird gefallen sein.«
»Nein! Er lebte … er hat mich doch noch auf den Wagen gehoben!« Er richtete sich auf den Knien auf und rief Major Schneider an. »Wir haben Leskau vergessen, Herr Major«, schrie er.
Major Schneider starrte auf den Waldrand. Er schwieg.
»Wir müssen zurück und Leskau holen!« schrie Oberleutnant Faber. »Wir können ihn doch nicht einfach vergessen! Er lebte doch noch! Ich weiß es genau …«
Major Schneider nestelte an seinem MG. »Jetzt wird er tot sein«, sagte er hart.
»Und wenn er noch lebt?«
Schneider wandte sich langsam zu Faber um. Über sein Gesicht zuckte es. Er rang nach Worten und sagte sie heiser, mit fast versagender Stimme:
»Es ist ein Mensch, Faber! Wir sind zwölf! Wollen Sie zwölf Leben für ein Leben opfern?«
»Herr Major …«, keuchte Faber. Er umklammerte den Arm Dr. Wenskys, der ihn stützte. »Wir haben einen Kameraden zurückgelassen! Einen Kameraden! Einfach vergessen … lebend vergessen!«
Major Schneider wandte sich ab. Er beugte sich über sein MG und winkte einen der Soldaten heran. »Ölen Sie das Schloß nach«, sagte er hart. »Und säubern Sie es von Sandkörnern. Das MG 42 ist sehr empfindlich gegen Schmutz …«
Oberleutnant Faber sank in sich zusammen. Er sah Dr. Wensky an, der sich über ihn beugte.
»Verstehen Sie das, Doktor? Können Sie das verstehen? Begreifen Sie, was hier vorgeht?«
Dr. Wensky drückte den zitternden Körper des Oberleutnants auf die eisernen Planken des Bodens. »Wir werden vieles nicht verstehen, Faber, was heute geschieht«, sagte er sanft. »Wir müssen lernen, keine Moral mehr zu haben, keine Ehre, kein Gewissen … Wir müssen nur denken: Durch! Zurück! Ganz gleich – wie. Der Krieg ist der einzige Beweis von der im Weltall einmaligen Verwerflichkeit des Menschen! Es gibt keine größere Bestie als ihn. Gewöhnen wir uns daran, Mitglieder dieser Raubtierherde zu sein.«
»Wir haben Leskau einfach zurückgelassen.« Durch Fabers Körper lief ein Beben. Er wollte aufspringen, aber die kräftige Hand des Stabsarztes drückte ihn wieder nieder.
»Liegen Sie still, Faber«, sagte er gepreßt. »Sie ändern es nicht. Auch Leskau ist nur eine Nummer in der Wehrstammrolle, die man durchstreichen wird. Ein Held, Faber! Gestorben für Führer und Großdeutschland …«
»Hören Sie auf, Wensky!« schrie Faber. »Wir sind Schweine. Wir alle, alle sind Schweine!«
Major Schneider drehte sich brüsk herum. Er musterte Faber mit seinen kalten, blaugrauen Augen.
»Geben Sie ihm eine Morphiumspritze, Doktor«, sagte er heiser. »Er phantasiert bereits. Wenn er in einigen Monaten zu Hause die Beine auf der Couch ausstrecken kann, wird er uns dankbar sein …« Und als Faber etwas sagen wollte, brüllte Major Schneider und hieb mit der Faust auf den Stahlrand der Panzerung. »Ich will kein Wort mehr hören, Herr Oberleutnant! Jede weitere Äußerung betrachte ich als Wehrkraftzersetzung, die den Geist meiner Truppe demoralisiert! Haben Sie verstanden?«
Faber antwortete nicht. Er drehte Major Schneider den Rücken zu und schloß die Augen.
Leskau, dachte er erbittert. Vier Jahre waren wir zusammen. Freunde waren wir geworden … und nun vergißt man ihn.
Er biß die Zähne aufeinander, um nicht aufzuweinen. Er schämte sich fast, auch noch zu leben.
Durch den Wald irrte Tamara.
Über ihren nackten, mißhandelten Körper hatte sie die Kleider eines erschossenen Partisanen geworfen, ihren kahlgeschorenen Kopf mit dem brennenden Brandmal auf der Stirn bedeckte eine alte Bauernschirmmütze. Sie wußte nicht, was Fedja ihr in das Fleisch gebrannt hatte … wenn sie mit den Fingern über die Wunde tastete, waren es Striche, die sie fühlte, blutverkrustet, wulstig aufgeworfen, ein Zeichen für das ganze Leben.
Sie fand die Stelle des Gemetzels schnell. Sie war dem Klang der letzten Schüsse nachgeeilt und verbarg sich nun hinter einem Busch. Sie sah zu, wie die überlebenden Partisanen die deutschen Soldaten plünderten, wie sie sie auszogen, die Stiefel und die Unterwäsche an sich rissen und die nackten Körper einfach zur Seite warfen. Ein junger Gefreiter, der noch nicht tot war, sondern schwerverletzt am Waldrand lag, wurde mit Stiefelabsätzen erschlagen … man zertrat sein Gesicht zu einer formlosen Masse und sang dabei die Lieder der Revolution. Fedja kam mit den Stiefeln Igor Graschins. Er hinkte mit
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