Die Rollbahn
breitem Grinsen heran, sein breites asiatisches Gesicht mit dem hängenden Schnurrbart glänzte … ein kleiner, gelber Teufel.
»Genosse Leutnant ist flach wie eine Wanze«, sagte er lustig. »Ich bin jetzt euer Kommandeur, verstanden? Zurück ins Dorf, Genossen! Laßt die deutschen Hunde laufen … sie werden nicht über den Dnjepr kommen! Dort steht die Rote Armee! Urräää!«
Tamara wartete, bis die wilden Haufen abgezogen waren. Dann kroch sie aus dem Busch hervor und schlich die nackten Leichen der Deutschen ab. Einen Toten nach dem anderen drehte sie auf den Rücken und sah ihnen in die verzerrten Gesichter. Sie suchte Kunze und Strakuweit, und als sie sie nicht fand, atmete sie auf und setzte sich inmitten der nackten Leichen auf den Boden.
Sie saß so eine ganze Weile, die Beine angezogen, die brennende Stirn mit dem Mal in die Hände gestützt. Wohin, dachte sie. Wohin bloß? Ich habe keine Heimat mehr, keine Freunde, keine Landsleute … nur noch Feinde, die mich wie einen räudigen Hund erschlagen, wenn sie mich sehen. Tamara mit dem Mal auf der Stirn. Ein Mensch, der getötet werden muß, weil er Rußland verriet. Weil er einen Deutschen liebte. Weil er mehr Herz besaß als Vernunft. Weil er jung war und glücklich in den Armen eines Mannes … Weil er keinen Haß kannte …
Hinter ihr raschelte es. Sie sprang mit einem leisen Schrei auf und flüchtete, über die nackten Leichen springend, in den Wald hinein. Hinter einem Baum verhielt sie und schaute zurück. Über die Lichtung schwankte eine graue Gestalt. Der blutverschmierte Kopf pendelte beim Gehen auf und ab, als habe der Körper keine Kraft mehr, ihn aufrecht zu halten. Der Mann hatte keine Jacke mehr an … aber seine Stiefelhose war grau, seine Stiefel waren deutsche Knobelbecher, er stützte sich auf einen deutschen Karabiner wie auf einen Stock, den Lauf nach unten in den Waldboden steckend, als wäre er sein einziger Halt. Mit weit aufgerissenen Augen taumelte er an den Leichen vorbei, der Schneise zu, durch die der Wagen dem Dnjepr zu gefahren war.
Tamara schlich ihm nach, vorsichtig, lautlos, wie ein Fuchs, der den Hasen verfolgt. Der Mann vor ihr stöhnte ein paarmal auf … er verhielt den Schritt und stützte sich schwer auf seinen Karabiner. Einmal klammerte er sich an einem Baum fest und erbrach sich. Es war ein schreckliches Würgen, ein Keuchen, ein wildes Stöhnen … dann ging er weiter, an dem in den Boden gedrückten, unkenntlichen Igor Graschin vorbei, von dessen breitgewalztem Körper keiner mehr sagen konnte, daß es noch ein Mensch sei.
Tamara schlug einen Bogen, rannte an dem einsamen Mann vorbei und stellte sich vor ihm auf die Straße.
»Stoj«, rief sie. Sie hob einen Knüppel, den sie aufgelesen hatte, empor. »Stoj! Wer bist du?«
Der Mann zuckte zusammen. Er hob den blutverschmierten Kopf und stützte sich auf sein Gewehr. In seine Augen trat ein entsetztes Erstaunen.
»Tamara!« sagte er schwach. »Bist du es? Bist du es wirklich?«
Tamara tastete über ihren kahlen Kopf und die Brandwunde auf der Stirn. »Du kennst mich …« Sie trat näher und sah in das zerstörte blutige Gesicht des Mannes. »Wer bist du …«
»Leskau …«
»Oh, der Unterafizärr, der gutte Freind von Strakuweit.« Sie strich mit der kleinen schmutzigen Hand über seinen Kopf und sah nicht den entsetzten Blick Leskaus.
»Was haben sie mit dir gemacht, Tamara …«
Sie schüttelte wild den Kopf. »Nischt davon sprächen, nischt daran danken. Du labst, isch läbe … wir wollen gähen zu Dnjepr, zu Freinden, zu Strakuweit …«
»Sie haben mich vergessen, Tamara. Sie haben mich zurückgelassen. Als ich auf den Wagen springen wollte, sind sie abgefahren. Sie haben mich allein gelassen …«
»Nischt allein.« Tamaras Hand fuhr wieder über das blutige Gesicht. »Tamara doch da. Tamara bei dir bleiben. Tamara mit dirr gähen. Hinter Dnjepr ist Freiheit … Komm, Unteraffizärr. Tamara weiß Weg …«
Sie stützte Leskau, griff unter seinen Arm und ging mit ihm durch den Wald der Spur nach, die die Raupen des Wagens auf dem Waldboden hinterlassen hatten. Das Mal auf ihrer Stirn brannte. Leskau sah es an und biß sich auf die Lippen. Wo die glatte, weiße Stirn Tamaras gewesen war, zerriß blutverkrustet und schwarz ein eingebranntes Hakenkreuz die Haut.
»Sie haben dich gefoltert«, sagte er schwer atmend.
»Titsche! (Still!) Nicht davon sprechen …«
»Nur darum hast du uns verraten! Nur darum. Es kann dir keiner übelnehmen,
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