Die Rollbahn
Tamara. Niemand hat die Kraft, dies zu ertragen.«
Er blieb stehen und strich mit seinen Händen über ihren Kopf und das Brandmal. Tamara schüttelte den Kopf und wich zurück. »Komm«, sagte sie. »Wir müssen das Dorf umgehen. Dann ist es nur noch eine Nacht bis zum Dnjepr. Bis dahin bringe ich dich …«
»Und dann, Tamara? Du gehst mit über den Fluß?«
Tamara senkte den Kopf. Auf den kahlgeschorenen Schädel brannte die Sommersonne. Schaurig deutlich hob sich das Brandmal von der Stirn ab.
»Für mich gibt es keine Heimat mehr … ich bin eine Tote. Jeder, der meine Stirn sieht, wird mich erschlagen. Jeder Russe … Ich gehöre nicht mehr in diese Welt …«
Sie sprach es russisch, aber Leskau verstand sie. Mit einer Zärtlichkeit, die aus seinem schwachen, elenden Körper unbewußt hervorquoll, hob er den Kopf Tamaras hoch und sah ihr in die großen, traurigen Augen. Er zwang sich, nur diese Augen zu sehen und nicht das darüber eingebrannte blutigschwarze Hakenkreuz auf der Stirn.
»Du kommst mit uns, Tamara … du bleibst bei mir und wirst irgendwohin nach Deutschland kommen. Auf einen Bauernhof, auf ein Gut … ein deutscher Arzt wird dir das Brandmal wegoperieren.«
Langsam wanderten sie durch den Wald, immer der Spur des Raupenwagens nach, einer den anderen stützend.
Kilometer um Kilometer … durch glühende Sonne, durch Dickichte, durch Partisanenstreifen, vor denen sie sich im Unterholz verkrochen, um Walddörfer herum … dem breiten, lockenden Fluß entgegen, der Grenze zwischen Leben und Sterben …
Sieben Kilometer vor dem Dnjepr lagerte die Gruppe Schneider im tiefen Wald.
Oberleutnant Faber hatte auf der ganzen Fahrt durch das Partisanengebiet kein Wort mehr mit Major Schneider gesprochen. Auch jetzt vermied er es, mit ihm in Berührung zu kommen. Er sonderte sich von den Offizieren ab und hatte sich zu Strakuweit gesetzt, der eine Büchse kalten Gulasch aß. Leutnant Vogel, der bedrückt neben Schneider saß, hatte Hauptfeldwebel Kunze neben sich. Nach dem Zurücklassen Leskaus war er für den Häftling verantwortlich, eine Aufgabe, die ihm unter normalen Umständen einen wirklichen Spaß gemacht hätte und sein Gehirn zu Schikanen angeregt haben würde, die Kunze notgedrungen nur mit einem Selbstmord beantworten konnte. Stabsarzt Dr. Wensky bemühte sich um zwei andere Landser, die leicht verwundet waren, während Strakuweit seinen Streifschuß unter dem Haaransatz schon selbst verbunden hatte und seinen Russenhelm nun auf dem dicken Kopfverband balancierte.
»Wissen Sie genau, daß er lebte?« fragte Strakuweit leise Faber. »Vielleicht hat er vor dem Aufspringen einen Schuß bekommen?«
Oberleutnant Faber schüttelte den Kopf. »Ich war vor Major Schneider der letzte, der auf den Wagen sprang. Leskau hob mich noch hoch, weil ich mich mit dem Arm nicht aufstützen konnte. Dann sprang Schneider auf und schrie ›Ab!‹ und der Wagen schoß vorwärts … Und er blieb zurück … lebendig zurück bei den Partisanen.«
»Sauerei verdammte.« Strakuweit stellte die Gulaschdose auf die Erde. Es war ihm unmöglich, weiterzuessen. Leskau, Fritz, alter Junge, dich haben sie vergessen … Was soll ich Lottchen sagen, wenn sie mich nach dir fragt? Was soll ich deiner Inge sagen, wenn sie zu mir kommt und sagt: Strakuweit, du warst doch immer bei ihm, ihr wart doch immer zusammen … Wo habt ihr Fritz gelassen? Was habt ihr mit ihm gemacht? »Mist«, sagte er laut. »Ich gehe nicht über den Dnjepr, ohne Fritz gefunden zu haben …«
Faber zuckte herum. »Strakuweit, ist das Ihr letztes Wort?«
»Mein allerletztes, Herr Oberleutnant.«
Faber legte dem Obergefreiten die Hand auf die Schulter. »Ich bleibe bei Ihnen, Strakuweit.«
Gegen Morgen wurden zwei Mann der kleinen Gruppe vermißt. Leutnant Vogel war der erste, der es bemerkte … er mußte in der Nacht austreten, und als er zurückkam, waren die Plätze von Strakuweit und Oberleutnant Faber leer. Er rüttelte den Major wach und nahm die Hacken zusammen, als dieser schlaftrunken aufzuckte.
»Eine Meldung, Herr Major: Oberleutnant Faber und der Obergefreite Strakuweit haben die Truppe verlassen!«
»Na und?« sagte Schneider gleichgültig.
»Das ist Desertion, Herr Major!«
»Bei Ihrer Mentalität, gewiß! Gehen Sie schlafen, Vogel.«
»Herr Major!«
»Herr Leutnant!« schrie Schneider. »Ich habe gesagt: Gehen Sie schlafen! Das ist ein Befehl! Und vor dem Einschlafen denken Sie einmal darüber nach, was das Wort
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