Die Rollbahn
heutigen Tag.
Und nun wiegte sich ein kleiner, singender Vogel vor ihm im Schilf … ein bunter Vogel, der zu ihm beim Singen hinübersah mit fast bernsteinfarbigen Augen.
»Mein Kleiner«, sagte Strakuweit leise. Er trat einen Schritt vor. Der Vogel blieb sitzen, nur hörte er zu singen auf und äugte zu ihm hin. »Wo kommst du denn her, mein Süßer?« Strakuweit hob die Hand. »Du hast keine Angst, was? Du kennst die Menschen noch nicht? Du bist ein glücklicher Vogel, mein Kleiner …«
Seine Maschinenpistole schlug gegen die Gasmaskenbüchse. Der Vogel sträubte die Flügel, als wolle er erschreckt davonfliegen.
»Bleib, bleib doch, Kleiner«, sagte Strakuweit. Er hob die Maschinenpistole über den Helm und warf den Riemen zurück. Dann legte er die Waffe zur Seite auf den Weg. Er griff in den Brotbeutel, brach etwas von dem gestohlenen Brot ab und hielt es mit ausgestrecktem Arm dem Vogel hin. »Komm, nimm es dir … komm zu Theo, mein Kleiner … Sei lieb … hab' keine Angst …«
In diesem Augenblick fiel ein schwerer Gegenstand gegen seinen Rücken, er fühlte etwas Kaltes in sich hineindringen und wußte, daß es ein Messer war.
Stöhnend ließ er sich in die Knie fallen und griff mit beiden Armen nach hinten. Er faßte einen Körper, sank nach vorn und schleuderte ihn über sich hinweg auf den Sumpfpfad.
Der Vogel vor ihm kreischte, schlug mit den Flügeln und riß den Schnabel auf.
»Du hinterlistiger Hund«, keuchte Strakuweit. Er kroch auf den Knien zu dem dunklen Körper hin und warf sich auf ihn, als sich der Russe aufrichtete. Er trug die Sommerbluse der Roten Armee. Seine blaue Zivilhose steckte in hohen Juchtenstiefeln. In der Faust hielt er ein breites Messer, dessen Schneide blutig war.
Strakuweit stürzte dem Messer entgegen. Er spürte den Stich in der Brust, aber er umklammerte mit eisernen Fingern den Hals des Russen und drückte ihn zu. Stöhnend lag er auf ihm, das Messer in der Brust, schlug mit dem Kopf in das breite, gelbe Gesicht und spuckte das Blut, das sich in seiner Mundhöhle ansammelte, in die Augen des röchelnden Sowjets.
Von weitem hörte er Rufen. »Theo … Theo …« Das war Leskau, der ihm entgegenkam. Strakuweit hob den Kopf.
»Fritz!« keuchte er. Blutiger Schaum verschluckte die Worte. Der Vogel vor ihm kreischte. Sein Geschrei drang in seine Ohren, als zerrisse der Himmel unter fürchterlichem Gellen. »Fritz … Hierher! Hierher!«
Sein Schrei ging unter in der blutigen Schaumwatte vor seinen Lippen. Er spürte unter sich den sich aufbäumenden Körper des Russen … wieder stieß er mit dem Kopf in das Gesicht, drückte die Hände um den Hals … die Rückenwunde brannte, als stäke ein feuriges Eisen zwischen den Schulterblättern, in der Brust, unter dem dritten Knopf der Uniform, ragte das breite Messer aus seinem Fleisch. Er fühlte, wie seine Kräfte nachließen, wie seine Finger zu Eis wurden, wie der Hals unter ihnen sich dehnte, ohne daß er die Kraft hatte, ihn wieder zuzudrücken.
»Fritz!« stammelte er. »Fritz …« Er hieb noch mal in das hochkommende Gesicht des Russen, dann sank er ohnmächtig zurück.
Der Russe sprang auf. Er hörte, wie Leskau den Weg entlang kam, er hörte, wie er rief … nahe schon, gefährlich nahe … Da nahm er den Körper Strakuweits, stieß ihn vom Weg in den Sumpf und hob die rechte Hand.
Der bunte Vogel schwieg. Er flatterte auf die Hand des Russen, rieb seinen spitzen, gelben Schnabel an seiner Wange und stieß einen Laut aus, der wie ein Kichern klang, wie ein Lachen.
Wie ein Schatten glitt der Sowjet vom Pfad weg in den Sumpf. Auf einem Bretter- und Knüppeldamm, der einen halben Meter unter der Oberfläche lag und unsichtbar war, rannte er hinein in die dunkle Einsamkeit der Beresinamoore.
Langsam, Zentimeter um Zentimeter, versank der schlaffe Körper Strakuweits in die breiige Tiefe des Sumpfes …
Als Leskau an der Stelle des Kampfes erschien, sah er zunächst die auf dem Weg liegende Maschinenpistole Strakuweits. Er warf sich auf den Boden, riß seine eigene Waffe nach vorn und starrte vor sich auf den Weg, der in der Dunkelheit und im wuchernden Schilf unterging.
»Theo!« rief er laut. Ein Krampf schnürte seine Kehle zu. Das ist doch nicht möglich, schrie es in seinem Hirn. Hier, mitten im Sumpf, in unserem Rücken. Und ausgerechnet Strakuweit. Er kroch auf dem Weg vorwärts, seine tastenden Hände wurden feucht, klebrig. Blut!
Leskau biß die Zähne aufeinander. Er sprang auf und sah zur
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