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Die Rollbahn

Die Rollbahn

Titel: Die Rollbahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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…« Plötzlich weinte sie. Sie senkte den Kopf und schluchzte. Dr. Seidel legte den Arm um ihre zuckenden Schultern.
    »In drei Tagen sind Sie in der Heimat. In Dortmund.«
    »Und Walter …«
    »Daran dürfen Sie jetzt nicht denken.«
    »Und die Kinder …«
    »Welche Kinder?«
    »Die ich hier zurücklasse. Meine Schulklasse … Panie professor, nennen sie mich. Als ich herkam, sprachen sie kein Wort Deutsch … jetzt singen sie deutsche Volkslieder und lernen wie alle anderen deutschen Kinder.«
    Dr. Seidel zupfte sein Taschentuch aus der Rocktasche und trocknete Elsbeth damit die Tränen aus dem schmalen Gesicht.
    »Eine echte nationalsozialistische Kulturtat! Die Aufnordung des Ostens. Der Geist der Ordensritter in der kleinen BdM-Lehrerin. Haben die Kinder unglücklicher gelebt, als sie nur polnisch sprachen und dachten? Fehlte ihnen etwas, daß sie nicht den Geburtstag Hitlers oder Görings kannten und Friedrich den Großen nicht als den großen Preußen, sondern als den Unruhestifter Europas ansahen? Ändert es etwas im Lauf der Welt, wenn man nicht weiß, daß Pinneberg in Holstein liegt? Wenn Sie weg sind, Fräulein Lehrerin, werden die Kinder wieder polnisch sprechen und vielleicht ab und zu zurückdenken an ihre nauschischelka … mehr auch nicht.«
    »Die Kinder sind die Gegner von morgen.«
    »Ein absolut reiner, logischer Gedanke. Darum sollen Sie auch zwei deutsche Kinder nehmen und sehen, daß Sie so schnell und so sicher wie möglich nach Hause kommen! Morgen früh um sechs …« Er stopfte sein Taschentuch in die Rocktasche zurück und legte die Hand grüßend an den Mützenschirm. »Machen Sie 's gut, Elsbeth … Sie haben hier eine Chance … und der Russe steht vor Minsk!«
    Als Oberstabsarzt Dr. Seidel die Schule verließ und schnellen Schrittes über den großen Hof ging, wo sein Kübelwagen parkte, wußte er nicht, ob er richtig gehandelt hatte.
    Sein Fahrer, ein Oberschnäpser, ließ den Wagen an. Er war ein älterer Mann, der erst bei den Landesschützen als AvH.-Mann diente, bis man merkte, daß er früher einmal in einer Apotheke tätig war. Er wurde daraufhin für gut befunden, bei der Sanitätsstaffel zu dienen, und kam nach Sczynno zu Dr. Seidel als Fahrer, Schreiber und Hilfssanitäter.
    Dr. Seidel setzte sich neben ihn auf den harten Sitz.
    »Sie sind verheiratet, Kraemer?«
    »Jawoll, Herr Oberstabsarzt.« Obergefreiter Kraemer schielte zu Dr. Seidel. Dumme Frage, der weiß das doch. Aber Offiziere sind meistens so … wenn sie ein Gespräch mit einem Mannschaftsdienstgrad beginnen, ist es entweder eine Meckerei oder eine dumme Frage. »Ich habe auch drei Kinder«, sagte er schnell, um der unvermeidlichen zweiten Frage zuvorzukommen.
    »Was würden Sie tun, wenn Ihre Frau allein wäre und würde von den Russen bedroht.«
    »Ich holte sie heraus, Herr Oberstabsarzt.«
    »Sie sind aber hier, und Ihre Frau ist Hunderte Kilometer entfernt!«
    Obergefreiter Kraemer sah den Oberstabsarzt lange an. »Das stimmt«, sagte er rauh. »Herr Doktor – das ist alles eine sehr große Sauerei …«
    Irgendwie innerlich beruhigt fuhr Dr. Seidel zurück nach Sczynno.
    Den ganzen Abend über packte Elsbeth Holzer ihre Sachen.
    Erst waren es ein Koffer und ein großer Rucksack … dann packte sie alles wieder um. Sie mußte ja zwei Kinder an die Hände nehmen … da gab es keinen Platz für einen Koffer mehr. Sie legte alle Sachen, die sie mitnehmen wollte, auf ihr Bett und breitete sie aus.
    Ein paar Kleider, zwei Mäntel, Unterwäsche, Blusen, Schuhe, Strümpfe, zwei Fotoalben, ein Kästchen mit Bernsteinschmuck, einige Akten und Bücher.
    Verlassen saß sie inmitten der ausgebreiteten Sachen und weinte. Da stand auf einem Tischchen eine Vase … ein Geschenk von Mutter zum 21. Geburtstag … Und dort hing ein Bild an der Wand. Ein Aquarell. Die Küste bei Rositten. Wenn man es ansah, glaubte man, das Meer rauschen zu hören und den Schrei der Möwen, wenn die kleinen Fischerboote an den Strand gezogen wurden und ihre Kiele über den körnigen Sand knirschten. Und ein Teppich lag vor dem Fenster. Sie hatte ihn gekauft bei einem Besuch in Königsberg. Einen handgeknüpften Schafwollteppich … die Ersparnisse von zwei Monatsgehältern. Es war so vieles, woran ihr Blick haften blieb und was zurückgelassen werden mußte … eine ganz kleine Welt, der sie den Rücken kehrte, weil eine Woge von Blut und Erbarmungslosigkeit von Osten heranrollte und alles zu vernichten drohte.
    Es blieb nichts übrig

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