Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
mit Hanoi zu erzwingen, es für den Senator unumgänglich machte, auf der Stelle nach Washington zurückzufliegen.
Niemand vermochte genau zu sagen, warum er es tat, aber wir nahmen an, dass er etwas im Sinn hatte – irgendeine Krisenintervention, um Nixon unter Kontrolle zu bekommen. Jedenfalls war keine Zeit für lange und tiefschürfende Interviews. Humphrey hatte bereits verkündet, dass er bei Tagesanbruch nach Washington zurückfliegen werde, und zwei oder drei Zyniker im Pressekorps deuteten an, schon deswegen bliebe McGovern keine andere Wahl. Wenn Humphrey meinte, die Eskalation des Krieges sei wichtig genug, um eilig zum Capitol zurückzukehren, statt am Tag der Vorwahlen in Omaha abzuhängen, dann musste auch McGovern nach Washington – damit Hubert nicht irgendwann sagen konnte, sein hochverehrter Gegner sei mehr daran interessiert, die Vorwahl in Nebraska zu gewinnen, als daran, den dritten Weltkrieg zu verhindern.
Wie sich herausstellte, ließen sich Humphrey und McGovern nach ihrer Ankunft in Washington nicht zu dramatischen Handlungen hinreißen – zumindest nicht öffentlich –, und ungefähr eine Woche später hieß es in der New York Times , die Minen im Hafen von Haiphong seien so eingestellt worden, dass sie sich am Tag vor Nixons Reise zum Gipfeltreffen nach Moskau von selbst deaktivierten.
Kann sein, dass mir da was entgangen ist. Vielleicht ist die ganze Krise bei einer der streng geheimen Konfrontationen von Senat und Weißem Haus entschärft worden, deren Verlauf wir erst nachlesen können, wenn in fünfundsiebzig Jahren die offiziellen Protokolle eingesehen werden dürfen.
Aber es hat keinen Sinn, sich noch länger mit diesem Quatsch herumzuschlagen. Die Zeit ist gekommen, uneingeschränkt auf die Kraft des Gonzo-Journalismus zu setzen, und diesmal bleibt uns keine Wahl, als gnadenlos bis an seine Grenzen zu gehen. Schon wieder klingelt das Telefon, und ich höre, wie Crouse unten versucht, die Leute abzuwimmeln.
»Scheiße, was habt ihr für Probleme? Er sitzt da oben und haut alle drei Minuten eine neue Seite raus … Was? … Nein, besonders verständlich wird’s nicht sein, aber ich garantiere euch, wir kriegen ’ne Menge Wörter zusammen. Wenn gar nichts mehr geht, schicken wir einfach Pressemitteilungen und solchen Scheiß … Klar, keine Sorge. Wir sind schon fast so weit …«
Nur ein Irrer würde sich auf einen solchen Job einlassen: 23 Vorwahlen in fünf Monaten; sturzbetrunken von morgens bis abends und die Kopfhaut voller Speed-Pusteln. Wo liegt der Sinn? Ist Licht am Ende des Tunnels?
Crouse schreit wieder in den Hörer. Sie wollen mehr Text. Er hat ihnen alles geschickt, was er über den Anschlag auf Wallace geschrieben hat, und jetzt wollen sie was von mir. Diese hirnrissigen Mistkerle sollen sich von einer Nachrichtenagentur bedienen lassen, einen von diesen großen AP-Tickern aufstellen lassen, der 50 Wörter die Minute ausspuckt, und das rund um die Uhr … eine Wundertüte mit den merkwürdigsten Meldungen: Nur oben aufreißen und dann drucken, was rausquillt. Neulich erst hat AP eine Meldung über einen Mann aus Arkansas verbreitet, der an irgendeinem Wettbewerb teilgenommen und eine zweiwöchige Ferienreise gewonnen hatte – alles inklusive und an einen Ort seiner Wahl, wohin auch immer: Mongolei, Oster insel, Türkische Riviera. Doch er entschied sich für Salt Lake City, und dort fuhr er auch hin.
Hat sich dieser Mann zur Wahl registrieren lassen? Hat er den Überblick über die Kernthemen der Wahl? Hat er im Blut des Lamms gebadet?
So viel dazu. Der Geräuschpegel unten verrät mir, dass Crouse sie nicht mehr lange hinhalten kann. Also machen wir jetzt Ernst: zuerst Columbus, Ohio, und dann Omaha. Aber hauptsächlich Columbus, allein schon deswegen, weil die ganze Sache – zumindest bei mir im Kopf – mit einer ziemlich klaren und ernsthaften Berichterstattung über die Vorwahlen in Ohio losging.
Doch dann beschlossen wir, sie mit dem unglückseligen »McGovern-Porträt« zu verbinden. Also arrangierten wir ein Treffen mit George in Nebraska. Ich flog von Washington hin, und Wenner kam von der Westküste – gerade noch rechtzeitig, um dem Kandidaten auf dem Weg zum Flughafen die Hand zu schütteln.
Nein – seien wir fair: Es kam durchaus zu einer Art Gespräch, und davon war durchaus etwas zu gebrauchen.
Nur nicht für das Porträt . Da hatten wir weiterhin fünf leere Seiten. Also eilte ich zurück nach Washington und plackte mich ein paar
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