Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
Auszählen verschafft ihnen Zeit … äh …
Mankiewicz vermeidet geflissentlich, Wörter wie »Wahlbetrug« oder »Schwindel« oder gar »Stimmenklau« zu benutzen. Pierre Salinger hatte bereits früher am Tag im Fernsehen das Humphrey-Lager des »Wahlbetrugs« beschuldigt, aber die Behauptung ließ sich nicht erhärten, und so konnte Humphrey eine beschämende Retourkutsche ausstrahlen lassen, noch bevor die Wahllokale schlossen.
In Cleveland blieben in der Tat 127 Wahllokale offen bis um Mitternacht – aufgrund einer Notverordnung durch den Obersten Gerichtshofs des Bundesstaates.
Eine Puffotter in Omaha
Ein weiterer Mittwochmorgen, ein weiteres Hotelzimmer, ein weiteres grimmiges Scharmützel mit den Morgennachrichten im Fernsehen … und noch eine Post-mortem-Pressekonferenz, die für 10 Uhr angesetzt ist. In drei Stunden. Also Room Service anrufen und zwei ganze Grapefruit bestellen, dazu eine Kanne Kaffee und vier Gläser V-8-Gemüsesaft.
Dieser gottverdammte Mittwochmorgen ruiniert mir noch die Gesundheit. Gestern Abend erwachte ich ungefähr zu der Zeit, als die Wahllokale um acht schlossen, aus einem leichten Ibogain-Koma. Kein Alkohol am Wahltag – zumindest nicht vor Schließung der Wahllokale, aber es hat den Anschein, als würde man für die wahren Alkis immer noch ein Schlupfloch lassen. In Columbus war es die Bar am Flughafen, und in Omaha mussten wir uns ein Auto mieten und über den Missouri River nach Council Bluffs jenseits der Staatsgrenze in Iowa fahren. Jedes Jahr am Wahltag sind die West End Bars in Council Bluffs überlaufen von Säufern aus Omaha.
Für normale Menschen kein Problem, aber wenn man mit der Birne voll Ibogain den ganzen Tag Alkohol trinkt und die folgenden zehn Stunden damit verbringen muss, Wahlergebnisse zu analysieren … stellen sich zumeist Probleme ein.
Letzte Woche hat so ein Irrer um sechs Uhr morgens versucht, in mein Hotelzimmer im Neil House Motor Hotel in Columbus, Ohio, einzubrechen. Glücklicherweise hatte ich die Tür mit einer schweren Kette gesichert. In jedem anständigen Hotel mahnt ein Schild über dem Türknauf: »Zur Sicherheit unserer Gäste – bitte legen Sie die Kette unter allen Umständen vor, wenn Sie sich zur Ruhe begeben!«
Ich mach das immer. Während vier langer Monate auf Wahlkampftour hatte ich so manches üble Erlebnis mit Leuten, die zu abnormen Zeiten in mein Zimmer wollten – und in fast allen Fällen hatten sie etwas an meiner Musik zu mäkeln. Jeder dritte beschwerte sich über meine Schreibmaschine, aber das war hier in Omaha nicht der Fall …
MCGOVERN UND SEINE FREUNDE
Sen. McGovern (D-S. D.), hier beim Wahlkampf in Nebraska zu sehen, den er während der letzten sechs Tage 23 Stunden am Tag geführt hat, verwahrt sich gegen die Anwürfe lokaler Humphrey-Funktionäre, er befürworte die Legalisierung von Marihuana. Zwischen den Dementis findet er die Zeit, für die Fotografen seinem »alten Freund« Hunter S. Thompson die Hand zu schütteln. Thompson, innenpolitischer Korrespondent des Rolling Stone und Autor von Angst & Schrecken in Las Vegas , wurde kürzlich von Newsweek als gemeingefährlicher Alkoholiker und berüchtigter Konsument harter Drogen bezeichnet.
So eine Nummer hätte ihn hier in Nebraska erledigt. Schluss mit dem »Hi, Sheriff«-Quatsch; nein, angesichts solcher Presse wäre ich nur noch die mitreisende Puffotter … aber auch das kein echtes Problem. In Ohio, wo McGovern zum Sieg schließlich nur schlappe 19000 Stimmen fehlten, gingen seine Berater davon aus, dass vielleicht 10000 davon auf das Konto seiner publik gemachten Verbindung zu Warren Beatty gingen, der irgendwann mal einem Reporter gesagt haben soll, dass er dafür sei, Gras zu legalisieren. Das wurde prompt von dem nichtsnutzigen Arschloch Sr. Henry Jackson (D-Wash.) zu einem Riesenproblem aufgebauscht.
Leichte Kopfschmerzen bekommt man daher bei dem Gedanken, wozu Humphreys Leute ein Foto benutzen könnten, auf dem zu sehen ist, wie McGovern die Hand einer Person schüttelt, die vorzeiten mit einer »Freak Power«-Wahlliste Sheriff von Aspen werden wollte und in ihrem Programm dafür plädierte, dass der Sheriff und alle seine Hilfssheriffs zu jeder Tages- und Nachtstunde nach persönlichem Gutdünken dem Genuss von Meskalin frönen dürften.
Nein, das ginge nicht. Nicht bei McGovern – zumindest nicht im Mai 72 und wahrscheinlich nie. Er hat die vergangene Woche damit verbracht, in Nebraska umherzureisen und bei jeder sich bietenden
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