Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass er strikt gegen die Legalisierung von Marihuana sei. Er ist aber auch dagegen, jemanden schon wegen Besitzes ins Gefängnis zu schicken, und meint, der Besitz solle zum Vergehen erklärt werden und nicht mehr als Verbrechen gelten.
Aber sogar daran hatte man in Nebraska schwer zu schlucken. McGovern traf mit einer guten Mehrheit in diesem Staat ein und hatte zum Schluss nur knapp sechs Prozentpunkte Vorsprung (41 zu 35) vor Hubert Humphrey – der bis auf eine persönliche Bezichtigung alles Erdenkliche tat, McGovern als Trojanisches Pferd darzustellen, in dem Rauschgiftdealer und auf Abtreibung versessene Ärzte lauerten.
Jackson hatte in Ohio dieselben Themen angesprochen, aber George war darauf nicht eingegangen – was ihn, laut Aussage seiner Vordenker, den Bundesstaat kostete und mindestens 38 De legierte. Als Hubert ihm also in Nebraska wieder mit diesem Thema kam, beschloss McGovern, »ihnen allen die Stirn zu bieten«, und dementierte fast eine Woche lang zum Schluss jeder Wahlrede, für die Legalisierung von Marihuana zu sein oder gar Abtreibung auf Verlangen gutzuheißen … und in den frühen Morgenstunden des Sonnabends, drei Tage vor der Wahl, rief er seinen Medienexperten Charley Guggenheim aus dem Karibikurlaub zurück, um speziell für Nebraska einen Film zu drehen, der am Sonntagabend im ganzen Bundesstaat ausgestrahlt werden und verdammt noch mal dafür sorgen sollte, dass die Leute in Nebraska George McGovern für einen ganz normalen Kerl halten konnten; für einen, der genauso wenig wie sie Marihuana tolerieren oder gar seine Frau zu einer Abtreibung schicken würde.
Und es funktionierte. Ich sah mir den Film in McGoverns »Presse Suite« im Omaha Hilton an, zusammen mit einer Handvoll Reporter und Dick Dougherty, einem ehemaligen Reporter der L. A. Times , der viele der wichtigen Reden/Verlautbarungen McGoverns schreibt, aber gewöhnlich wegen seiner extrem schlamp igen und dubiosen Erscheinung aus der Öffentlichkeit ferngehalten wird. Am Sonntagabend kroch Dougherty dort hervor, wo er gewöhnlich hockt, und wir fanden ihn vorm Fernseher im Presseraum, wo er sich seinen Mann ansah. Er hielt einen Plastikbecher mit Old Overholt Rye in der Hand und hatte ein Päckchen »Home Run«-Zigaretten dabei, ließ die Mattscheibe nicht aus den Augen und wiederholte ständig voller Begeisterung: »Mann, ist das fantastisch! Mann, was für ein Kamerawinkel! Ver dammt und zugenäht, das ist doch echt mal ein höllisch guter Wahlkampffilm, oder?«
Ich stimmte ihm zu. Es war ein erstklassiger Wahlkampffilm: Das Licht war großartig; der Ton so scharf und glasklar wie Diamanten, die auf einer Tischplatte aus Magnesium tanzen; die Charaktere und der Dialog degradierten Turgenjew zum literarischen Straßenjungen … McGovern saß in der Runde und entschärfte meisterhaft jede böswillige Beschuldigung, mit der man ihn zu attackieren versuchte. Er sprach, als sei er Sokrates, Superanwalt Clarence Darrow und der liebe Gott in einer Person. Es war ein Meisterwerk, ohne Frage, sowohl als Film wie als Selbstdarstellung – und als es vorbei war, stimmte ich in die allgemeinen Lobeshymnen ein.
»Sehr schön«, murmelte jemand.
»Verdammt gut gemacht«, kommentierte ein anderer.
Dougherty grinste übers ganze Gesicht. »Na, wie war das?«, fragte er.
»Wunderbar«, antwortete ich. »Kein Zweifel. Nur bin ich in fast allem, was er sagt, gegenteiliger Meinung.«
Dougherty stand hastig auf und wich ein paar Schritte zurück. »Mein Gott noch mal« fauchte er mich an. »Sie müssen wohl immer was zu kritisieren haben, Sie Kleinkrämer .«
ALBTRAUM IN FAT CITY?
Auf einer Pressekonferenz in Flint, Michigan, sagte McGovern: »Wallace hat allen Anspruch darauf, beim Nominierungskon vent (in Miami) mit Respekt behandelt zu werden, aber Abspra chen werde ich ihm absolut nicht vorschlagen …«
Anders als McGovern griff Humphrey (in Michigan) Wallace durchaus persönlich an, aber als die Frage aufgeworfen wurde, ob er dessen Delegierte zu umwerben vorhabe, sagte Humphrey: »Ich werde mir Unterstützung holen, wo ich sie bekomme, wenn ich jemanden dazu überreden kann, für mich zu sein.«
– The Washington Post , 14. Mai 1972
Zitate dieser Art sind nicht leicht zu finden – besonders nicht bei Präsidentschaftswahlen, denn da sind die meisten Kandidaten smart genug zu wissen, dass es sich nicht empfiehlt, eine Pressekonferenz anzuberaumen und dann ganz offiziell zu verkünden,
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