Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
in diesen aufgemotzten Strandhotels »die Vordertür« nennen, beäugte mich neugierig, als ich ausstieg und unter großen Mühen nasse braune Tüten voller Bierflaschen vom Rücksitz zerrte. »Brauchen Sie den Wagen heute Abend noch mal?«, fragte er.
»Wahrscheinlich«, sagte ich. »Aber erst später. Bis mindestens Mittenacht bin ich oben.« Ich sah auf meine Uhr. »Das Spiel Rams gegen Kansas City fängt in drei Minuten an. Danach arbeite ich, und dann fahr ich los, um irgendwo was zu essen.«
Er riss die Tür auf und rutschte hinters Steuer, um den Wagen in die Tiefgarage zu fahren. Er hatte schon die Hand auf dem Ganghebel, verharrte aber noch, sah auf zu mir und fragte: »Lust auf ein wenig Gesellschaft?«
»Nein«, sagte ich. »Ich bin schwer im Rückstand und werde die ganze Nacht an der Schreibmaschine sitzen. Dürfte mir eigentlich nicht mal das Spiel ansehen.«
Er verdrehte die Augen gen Himmel – wo sich in diesem Fall aber nur das goldglänzende Glasdach über dem Säulengang an der vorderen Auffahrt befand. »Meine Güte, was ist denn das für eine Arbeit , von der Sie leben? Schreibmaschinen bumsen? Ich dachte, der Nominierungsparteitag ist vorbei.«
Ich hielt inne und klemmte mir die nassen Tüten mit dem Bier unter den Arm. In ungefähr zehn Meter Entfernung hinter der Glastür der Lobby bot sich eine Szenerie, die mir vorkam wie die Filmkulisse einer üppigen Cocktailparty für reiche Venezolaner und High-Society-Juden mittleren Alters – meine Mitbewohner im Fontainebleau. In meiner alten braunen Lederjacke war ich nicht gut genug gekleidet, um mich unter sie zu mischen, und daher hatte ich beschlossen, schnellen Schrittes durch die Lobby zu den Fahrstühlen zu eilen und oben in meinem Versteck zu verschwinden.
Der Nixon-Konvent war am Donnerstagmorgen zu Ende gegangen, und am Sonnabend war der Schwarm von nationalen Presse/Medien-Leuten, die in dieses bombastische Hotelmonstrum eingefallen waren, schon längst wieder verschwunden. Ein paar Dutzend Nachzügler waren bis Freitag geblieben, aber schon am Samstagnachmittag hatten sich Stil und Stimmung im Haus drastisch geändert, und am Sonntag kam ich mir vor wie der einzige Nigger in der Gouverneursloge beim Kentucky Derby.
Bobo hatte mir während des Nominierungsparteitags kaum Beachtung geschenkt, aber jetzt schien sein Interesse geweckt. »Ich weiß, Sie sind Reporter«, sagte er. »Auf Ihrer Parkplatzberechtigung steht ›Presse‹. Aber die anderen sind doch alle spätestens gestern abgehauen. Was machen Sie denn noch hier?«
Ich grinste. »Jesus, bin ich tatsächlich als Einziger übrig?«
Er überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. »Nein, Sie und noch zwei andere. Einer davon fährt einen weißen Lincoln Continental.«
»Der ist nicht von der Presse«, erwiderte ich sofort. »Wahrscheinlich einer von den Vorhutleuten der GOP, der die Abrechnungen mit dem Hotel macht.«
Er nickte. »Ja, der hat sich auch so benommen, als wenn er zu der Show gehörte. Nicht wie ein Reporter.« Er lachte. »Euch Jungs erkennt man nämlich ziemlich leicht, wussten Sie das?«
»Quatsch«, gab ich zurück. »Mich nicht. Alle sagen, ich sehe aus wie ein Cop.«
Er sah mich kurz an und tippte aufs Gaspedal, damit der Motor nicht ausging. »Tja«, sagte er. »Kann ich mir vorstellen. Solange Sie den Mund halten, könnten Sie als Cop durchgehen.«
»Normalerweise bin ich recht rücksichtsvoll«, sagte ich.
Er grinste. »Glaub ich. Ist uns allen aufgefallen. Der andere Pressetyp, der noch hier ist, hat mich neulich gefragt, wer Sie sind – als Sie über Nixon herzogen …«
»Wie heißt er?« Ich war neugierig, wer sonst noch aus dem Pressekorps bereit war, sich Schmach und Isolation dieser Art zuzumuten.
»Ich kann mich im Moment nicht erinnern«, sagte Bobo. »Ein großer Kerl mit grauem Haar und Brille. Fährt einen blauen Ford Station Wagon.«
Ich fragte mich, wer das sein mochte. Auf jeden Fall jemand, der besonders gute Gründe hatte, weiterhin an diesem Ort zu bleiben. Jeder, der bei Verstand war oder eine einleuchtende Entschuldigung hatte, war so schnell wie möglich von hier verschwunden. Einige Fernsehtechniker des Sendernetzes waren bis Samstag geblieben und hatten das Kabellabyrinth entwirrt, das sie vor Beginn des Konvents im Fontainebleau installiert hatten. Diese Leute waren leicht zu erkennen, denn sie trugen Levi’s und Sweatshirts – am Sonntag jedoch war ich der einzige Gast im Hotel, der nicht gekleidet war wie ein
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