Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
und nicht ernst zu nehmende Fragen.
Die düstere Stimmung, die alle Presse- und Medienleute ergriffen hatte, war kaum weniger offensichtlich als die draufgängerische Arroganz der Nixon-Delegierten, die sich triumphierend auf die Brust trommelten. Das wahre Gesicht des Nominierungsparteitags stellt sich so dar: von der Spitze bis zum Fußvolk nichts als kreischende und rüpelhafte Zuversichtlichkeit der gesamten GOP-Maschinerie. Wenn ich an jene Woche zurückdenke, höre ich noch genau den nervtötenden Sprechgesang, den die Nixon-Jugend in der Convention Hall von der Galerie ertönen ließ: »FOUR MORE YEARS!« John Chancellor von NBC verglich die Jubeltruppe der Nixon-Jugend mit den »Kanalarbeitern« in Chicago, die man vor vier Jahren zusammengetrommelt hatte, damit sie in der Versammlungshalle bei den Viehhöfen Bürgermeister Daley hochleben ließen. Die Nixon-Jugend war nicht erfreut darüber, dass Chancellor diese Bemerkung vor laufender Kamera gemacht hatte. Diese minderjährigen Fans beklagten sich bitter darüber und sagten, es sei ein weiteres Beispiel für die »typisch voreingenommene« Denkweise der Liberalen, die ja in den Medien vorherrsche.
Doch in Wahrheit hatte Chancellor absolut recht. Aufgrund einer Reihe höchst merkwürdiger Umstände verbrachte ich an jenem Dienstagabend zwei Stunden inmitten jener Nixon-Jugend und hatte dabei Gelegenheit, mich mit einer ganzen Anzahl dieser jungen Leute ziemlich ausführlich zu unterhalten …
Dazu kam es, kurz gesagt, deswegen, weil ich mich in einem Labyrinth von Korridoren im hinteren Bereich der Convention Hall verirrt hatte, und zwar ungefähr eine Stunde vor der namentlichen Abstimmung darüber, ob Nixon die Chance hatte, in diesem Jahr abermals die GOP-Nominierung zu gewinnen … Ich war gerade aus der Halle gekommen, nachdem die Jungs vom Secret Service mich von der Loge der Präsidentenfamilie fortgejagt hatten, wo ich versucht hatte mitzuhören, was Charlton Heston zu Nelson Rockefeller sagte. Die Nervosität, die sich bei mir nach einem solchen Erlebnis einstellt, macht mich unweigerlich extrem durstig … und daher wollte ich auf dem kürzesten Weg in die Railroad Lounge, wo es für die Presse Freibier gab. Doch bei meiner unschuldigen Biersuche verfranzte ich mich und wurde auf irgendeinem Korridor urplötzlich von einem Mob aus ungefähr zweitausend Menschen, die mit beträchtlicher Geschwindigkeit voranstürmten, hilflos mitgerissen. Statt mich gegen die Menschenflut zu stemmen, ließ ich mich von ihr tragen und landete schließlich in einem großen Raum, in dem sich junge Nixoniten zu einer »spontanen Demonstration« für den Augenblick bereitmachten, in dem im Saal die Würfel fielen …
Dieser »Bereitschaftsraum« befand sich in einer weit abgelegenen Ecke der Halle, und dort hielt sich ein gutes Dutzend mit roten Hüten geschmückte Leute auf, die aussahen wie kleinstädtische Highschool-Footballtrainer. Sie brüllten in ihre Megafone und bemühten sich, die Herde laut blökender Schafe für die spontane Demonstration zusammenzutreiben, die für exakt 22 Uhr 33 angesetzt war.
Es ging sehr diszipliniert zu. Die rot behüteten Männer mit den Megafonen waren die Einzigen, die redeten. Riesige grüne Plastiksäcke voller Heliumballons wurden verteilt, dazu massenweise Lärmmacher, wie man sie bei Silvesterpartys benutzt, und Hunderte von großen Pappschildern mit Aufschriften wie: » NIXON NOW « … » FOUR MORE YEARS !« … » NO COMPROMISE !«
Die meisten Schilder waren gerade erst gedruckt worden. Sie sahen exakt so aus wie die » WE LOVE MAJOR D ALEY «-Transparente, die Daley 1968 in Chicago an seine Kanalarbeiter hatte verteilen lassen: rote und blaue Schrift auf weißem Untergrund … Aber hier und da war auch ein handgeschriebenes Schild zu sehen, und eines davon war meins. Darauf stand » GARBAGE MEN DEMAND EQUAL TIME «. Ich hatte mehrere Schilder zur Auswahl gehabt, aber dieses erschien mir passend für den Anlass.
Tatsächlich verstrich eine lange, aber aktiv genutzte Zeitspanne zwischen dem Augenblick, als es mich in den Bereitschaftsraum mitriss, und meinem Entschluss, bei der spontanen Demonstration mitzumachen und ein Schild zu schwenken. Ich habe an Ort und Stelle eine Menge Notizen gemacht, aber die sind irgendwo in meinem Koffer, und ich kann sie jetzt nicht finden. Es ist Viertel nach drei Uhr morgens in Miami, und ich muss meinen Flug nach Chicago um 12 Uhr mittags erwischen – dann weiterfliegen nach Denver
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