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Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Titel: Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter S. Thompson
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Touristenverkehr verstopft war … und wenn ich zurückdenke, muss ich sagen, dass diese Bootsfahrt das Einzige war, woran ich in jener Woche Freude hatte.
    In der Presse wurde viel davon gesprochen, es sei am Donnerstagabend zu »spontanen Heiterkeitsausbrüchen« gekommen, als die Delegierten, die während der ersten drei Sitzungen so todernst gewesen waren, plötzlich den Nominierungsparteitag mit unseriösem Gezänk über die Vizepräsidenten-Nominierung zeitweilig lahmlegten und McGoverns lang erwartete Dankesrede bis halb vier Uhr morgens verzögerten. Newsweek nannte es »ein belustigendes Intermezzo, einen albernen Ausrutscher der Delegierten, deren straffe Disziplin und überstrapaziertes Wohlverhalten plötzlich ein Ventil zu finden schienen, zumal es jetzt um nichts mehr ging«.
    Es wurde nicht viel gelacht in Miami, weder im Plenarsaal noch sonst wo, und auf mich wirkte das berühmt-berüchtigte »belustigende Intermezzo« am Donnerstagabend eher wie ein erstes Symptom eines epidemischen Übermüdungskollers. Alles wartete verzweifelt darauf, dass die verdammte Chose endlich ein Ende fand, und was die Presse fälschlicherweise für entspannten Frohsinn hielt, war in Wirklichkeit eine schlimme Überspanntheit, die am Freitagmorgen um drei Uhr in Rebellion auszuarten drohte. Überall im Saal sah ich Leute, die sich dem Dämon Alkohol hingaben, und im gerammelt vollen Gang zwischen den Delegationen aus Kalifornien und Wisconsin verteilte ein feixender Freak aus einer Flasche mit flüssigem THC Gratisproben an alle, die noch die Kraft besaßen, ihre Zungen rauszustrecken.
    Jeder Kandidat hatte Anspruch auf eine fünfzehnminütige Nominierungsrede und zwei fünfminütige Unterstützungsreden. Dieser Albtraum schleppte sich vier Stunden hin, und nach den ersten 40 Minuten gab es unter fünfzig Delegierten nicht einen einzigen im Saal, der noch wusste, wer redete, oder gar daran interessiert war, was gesagt wurde. Zweifellos gab es ab und zu rhetorische Glanzleistungen: Mike Gravel und Cissy Farentholt sagten ein paar Dinge, die unter anderen Umständen hörenswert gewesen wären … aber in jener langen Donnerstagnacht in Miami, als Senator Tom Eagleton aus Missouri nervös in den Kulissen darauf wartete, vortreten und die Nominierung zum Vizepräsidenten annehmen zu dürfen, die McGovern ihm vor 12 Stunden zugesichert hatte, war jedem einzelnen Delegierten im Saal klar, dass alles, was diese sieben anderen Kandidaten da oben auf der Rednertribüne von sich gaben, aus Gründen gesagt wurde, die nichts damit zu tun hatten, wer im November der Vizepräsidentschaftskandidat der Demokraten sein würde … und dabei würde es sich nicht um »Chub« Peabody handeln, den ehemaligen Gouverneur von Massachusetts, oder einen grienenden Hohlkopf namens Stanley Arnold aus New York City, der von sich behauptete, der »Kandidat des Geschäftsmannes« zu sein, oder gar Clay Smothers, den schwarzen Wallace-Delegierten aus Texas mit dem Gebaren eines »Hausnegers«.
    Aber diese hirnlosen Mistkerle blieben beharrlich, vergeudeten die halbe Nacht und die beste Sendezeit und diskreditierten den gesamten Nominierungsparteitag mit ihren Breitseiten von selbstsüchtigem Kokolores, die noch den allerletzten Rest des landesweiten Fernsehpublikums ins Bett oder zur Late Late Show trieben.
    Der Donnerstag war für McGovern unerfreulich. Schon um die Mittagszeit war nicht mehr viel übrig vom triumphalen Lächeln des siegreichen Kriegers, das er Mittwochabend auf den Lippen hatte. Den größten Teil des Nachmittags verbrachte er dann damit, eine lange Kandidatenliste für die Vizepräsidentschaft durchzuackern, und um zwei Uhr tummelten sich bereits Reporter und Fernsehteams in der Lobby des Doral. Offiziell hätte der Name des Kandidaten bis spätestens 15 Uhr 59 vorgelegt werden müssen, aber es war bereits fünf nach vier, als Mankiewicz endlich erschien und verkündete, McGovern habe sich für Senator Thomas Eagleton aus Missouri entschieden.
    Hinter dieser Wahl steckt eine sehr verzwickte Geschichte, aber im Moment ist mir nicht danach, sie zu erzählen. Meine spontane Reaktion war nicht enthusiastisch, und die Mitglieder des Stabs, mit denen ich sprach, wirkten leicht enttäuscht – mochte es auch nur deswegen sein, weil man die Wahl des nett aussehenden katholischen Jungen aus Missouri mit Freunden unter den Gewerkschaftern für eine Konzession an »die Alte Politik« hielt. Seine Dankesrede an jenem Abend war kaum beeindruckend

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