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Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Titel: Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter S. Thompson
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uns in vier Gruppen zu jeweils ungefähr 500 Teilnehmern ein und gab letzte Anweisungen. Wir sollten in den Saal eilen und augenblicklich Parolen skandieren, jubeln und johlen, unsere Schilder in Richtung der Fernsehkameras schwenken und ganz allgemein für Stimmung sorgen. Jeder bekam einen großen Müllbeutel mit ungefähr 25 bis 30 Heliumballons, die wir aufsteigen lassen sollten, sobald wir im Saal waren. Absolut zeitgleich mit unserem Einmarsch sollten aus riesigen Drahtkäfigen unter der Hallendecke Tausende von normalen Luftballons in den Saal regnen … sodass unsere Ballons aufstiegen , während die anderen zu Boden sanken und dadurch eine Masseneuphorie auslösten sowie dem Fernsehpublikum während der besten Sendezeit eventuell gar das Gefühl der Schwerelosigkeit vermittelten.
    Ich freute mich inzwischen auf eine Portion harmlosen Spaß, und aufgekratzt, wie ich war, überkam mich beim Signal zum Abmarsch das euphorische Gefühl, dass wir alle an einem Spektakel teilhatten, das zweifellos in die Geschichte eingehen würde.
    Sie trieben uns aus dem Bereitschaftsraum und gaben im Befehlston einen holprigen Rhythmus vor, während wir im Laufschritt übers feuchte Gras unter den Guavabäumen hinter der Halle trabten und uns schließlich durch eine gut bewachte Eingangstür drängten, die von Secret-Service-Leuten für uns aufgehalten wurde. In ebendiesem Augenblick wurden die Ballons von der Decke losgelassen … es war einfach herrlich, und ich winkte dem SS-Mann freudetrunken zu, als ich inmitten der Herde an ihm vorbeipreschte und in den Saal stürmte. Der Raum war so voller Ballons, dass ich anfangs überhaupt nichts sehen konnte, aber als ich schließlich Chancellor oben in seiner Loge erspähte, machte ich dem Mistkerl gnadenlos klar, was ich von ihm hielt: Zuerst streckte ich ihm mein Schild mit der Aufschrift »GARBAGE MEN DEMAND EQUAL T IME« entgegen, und als ich sicher war, dass er es bemerkt hatte, klemmte ich es mir unter den Arm, riss mir den Hut vom Kopf und hielt ihn fest in der Faust, die ich wutschnaubend in Richtung der NBC-Loge reckte. Gleichzeitig brüllte ich, so laut ich konnte: »Du mieser Schleimscheißer! Du bist erledigt ! Du schwuler Nazidepp!«
    Für diese Schimpfkanonade stieg ich in die niedersten Abgründe meines Vokabulars und steigerte mich dann in eine hemmungslose und gellend schrille Hasstirade von fünf oder sechs Minuten, für die ich von einigen meiner Mitdemonstranten ein anerkennendes Lächeln erntete. Sie alle intonierten nur pflichtgemäß die Schlachtrufe, die man ihnen im Bereitschaftsraum eingebläut hatte – aber ich war mit Leib und Seele dabei und sah, dass ich sie mit meinem Eifer beeindruckte.
    Doch schon bald wurde mir dieser Humbug langweilig. Als ich feststellte, dass sich meine einstigen Kumpel auf den Sprechgesang FOUR MORE YEARS eingroovten, fand ich, es sei Zeit, sich aus dem Staub zu machen.
    Was nicht leicht war. Inzwischen hatte sich die gesamte Menge vor den Kameras in den TV-Kabinen versammelt und kreischte mit vereinten Kräften. Die Leute trampelten einander nieder, um ganz nach vorne zu kommen und sich bemerkbar zu machen – oder zumindest für die Leute daheim in die Kamera zu winken. Menschen in dieser Stimmung waren bestimmt nicht empfänglich für den Anblick eines McGovern-Buttons in ihrer Mitte, und deswegen bewegte ich mich so behutsam wie möglich gegen den Strom, hielt die Ellbogen fest an die Rippen gepresst und gab ungefähr alle 30 Sekunden ein »Stellt Chancellor an die Wand!« von mir, um nicht weiter aufzufallen.
    Als ich am Ausgang für »Tagespresse« ankam, wurde ich von einem Déjà-vu-Gefühl überwältigt. All das hier hatte ich schon einmal erlebt. Ich hatte mittendrin gesteckt – aber wann?Dann dämmerte es mir. Ja. 1964 beim Goldwater-Nominierungsparteitag in San Francisco, als der arme Barry seine schicksalsschweren Sätze losließ, die so begannen: »Extremismus zur Verteidigung der Freiheit ist keine Untugend, usw. …« Ich war im Cow Palace, als er diese Rede schwang, und ich entsinne mich, dass ich es bei der heftigen Reaktion auf seine Worte echt mit der Angst zu tun bekam. Die Goldwater-Delegierten gerieten fünfzehn oder zwanzig Minuten lang ins Delirium. Er hatte den Satz noch gar nicht ganz zu Ende gebracht, da waren sie schon auf den Beinen und applaudierten wie die Wilden. Und während das menschliche Donnergrollen zum Orkan anschwoll, kletterten die Leute auf ihre Metallstühle und reckten die Fäuste

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