Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
nicht nur ehrlicher und vertrauenswürdiger als George McGovern, sondern wahrscheinlich auch eher in der Lage, den Krieg in Vietnam zu beenden.
Die Umfragen deuten überdies an, dass Nixon unter den jugendlichen Wählern eine satte Mehrheit sicher ist. Und dass er alle fünfzig Staaten für sich gewinnen kann.
Nun … mag sein. Dies könnte das Jahr werden, in dem wir endlich uns selbst gegenübertreten müssen – in dem wir uns getrost eingestehen müssen, dass wir in Wirklichkeit nichts anderes sind als eine Nation von 220 Millionen Gebrauchtwagenhändlern mit allem nötigen Geld, um Waffen zu kaufen, und nicht den geringsten Gewissensbissen, jeden auf der Welt umzulegen, der uns irgendwie auf den Wecker geht.
Die Tragödie besteht doch darin, dass McGovern, bei all seinen Fehlern und seinen schwammigen Äußerungen über »Neue Politik« und »Ehrlichkeit in der Regierung«, einer der wenigen Männer ist, die sich in diesem Jahrhundert um das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten beworben und wirklich verstanden haben, was für ein grandioses Monument der besten Anlagen unserer menschlichen Rasse dieses Land hätte sein können, wenn es uns gelungen wäre, es vor dem Zugriff habgieriger kleiner Wichser wie Richard Nixon zu bewahren. McGovern hat einige dumme Fehler gemacht, aber, im Zusammenhang betrachtet, erscheinen sie nichtig, wenn man sie mit dem vergleicht, was Richard Nixon an jedem Tag seines Lebens anrichtet – mit Absicht, als Teil seiner Politik und vollkommener Ausdruck all dessen, wofür er steht.
Jesus! Wo wird das enden? Wie tief muss man in diesem Lande gesunken sein, um Präsident werden zu können?
Frage nicht, wem die Stunde schlägt …
9. November 1972
Aufgrund von Umständen, die sich meiner Kontrolle entziehen, würde ich zu diesem Zeitpunkt am liebsten nichts mehr über die Präsidentschaftskampagne 1972 schreiben. Am Dienstag, dem 7. November, werde ich aus dem Bett aufstehen, um hinunter ins Wahllokal zu fahren und für George McGovern zu stimmen. Danach werde ich nach Hause zurückfahren, die Vordertür hinter mir abschließen, mich wieder ins Bett legen und so lange fernsehen, wie es nötig ist. Es wird wahrscheinlich eine Weile dauern, bis die ANGST abgeklungen ist – aber wenn das geschehen ist, werde ich wieder aufstehen und mich hinsetzen, um mir den miesen fiesen Frust von der Seele zu schreiben, wozu ich heute noch nicht in der Lage bin. Bis dahin, meine ich, sagt Tom Bentons Poster »Wählt den Präsidenten wieder« alles, was im Moment über diese unheilvolle Wahl gesagt werden muss. Zu jeder anderen Zeit wäre ich vielleicht versucht, den Totenkopf mit ein paar wütenden eigenen Kommentaren zu schmücken. Aber nicht 1972. Zumindest nicht in der verdrossenen Stumpfheit dieser letzten Stunden, bevor der Deal durch ist – denn Worte sind in dieser Phase der Kampagne nicht mehr wichtig. Die besten Worte sind schon vor langer Zeit gefallen, und all die richtigen Ideen wurden schon lange vor dem Labor Day in aller Öffentlichkeit kundgetan.
Das ist die grimmige Wahrheit dieser Wahl; eine Wahrheit, die sehr wahrscheinlich wiederkehren und uns heimsuchen wird. Die Optionen sind klar definiert, und alle wichtigen Kandidaten außer Nixon wurden öffentlich auf dem Prüfstand vorgeführt, und zwar von Experten, die genau wissen wollten, welche Meinung sie zu allen nur erdenklichen Problemen vertraten: von der Waffenkontrolle über Abtreibung bis hin zur Mehrwertsteuer. Mitte September hatten beide Kandidaten ihr jeweiliges Terrain abgesteckt, und wenn auch nicht jeder einzelne Wähler ganz genau zu sagen vermochte, welches die ganz spezifischen Standpunkte des jeweiligen Kandidaten waren, so wusste doch jeder, der im November an die Wahlurne treten würde, dass Richard Nixon und George McGovern zwei sehr verschiedene Männer waren: nicht nur im Kontext der Politik, sondern auch in ihrer Persönlichkeit, ihrem Charakter, ihren Prinzipien und ihrem Lebensstil …
Der Unterschied zwischen den beiden Männern ist so deutlich wie der zwischen Yin und Yang, ein so starker Kontrast, dass es schwerfallen dürfte, in der Arena nationaler Politik zwei bessere Musterexemplare für die legendäre Dualität – die angeborene Persönlichkeitsspaltung und die polarisierten Instinkte – zu finden, die bei jedermann seit Langem als Schlüssel zu unserem Nationalcharakter gilt, nur bei den Amerikanern selbst nicht. Daran dachte Nixon jedoch nicht, als er im vergangenen August sagte,
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