Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
sichere Chance auf den Einzug ins Weiße Haus hatte. Seitdem hat er sich aber mit einer Reihe fast unglaublicher Patzer – Eagleton, Salinger, O’Brien usw. – derart selbst geschadet, dass verständlicherweise eine große Zahl der Wahlmänner überzeugt ist – einschließlich mindestens der Hälfte seiner eingeschworenen Anhänger –, aus diesem Kandidaten sei ein dumm schwätzender Hohlkopf geworden. Und sein Verhalten seit Miami ist nichts als die schrittweise Verhohnepiepelung all dessen, wofür er während der Vorwahlen zu stehen schien.
Vielleicht irre ich mich in alledem. Es ist immer noch denkbar – zumindest für mich –, dass McGovern gewinnt. Dann brauchte ich nicht zu fürchten, dass mein Postschließfach in Woody Creek von Abendessen-Einladungen ins Weiße Haus überquillt. Aber was schert mich das! Mr. Nixon hat mich auch nie eingeladen, und Kennedy oder LBJ ebenso wenig.
Ich habe diese Jahre der Schande überlebt, und es macht mir nicht besonders viel aus, noch vier weitere aushalten zu müssen. In mir regt sich eh das Gefühl, dass mir nicht mehr allzu viel Zeit bleibt, und es gibt verdammt viele andere Sachen, die ich lieber in meinem Postfach finden würde als Einladungen zum Abendessen im Bedienstetenquartier.
Sollen diese verräterischen Hundesöhne sich doch gegenseitig auffressen. Sie haben einander verdient.
Endstadium der Kampagnen-Blähsucht?
Ach, Jesus! Schon wieder gleitet mir die Sache aus der Hand. Die Sonne ist aufgegangen, der Deal ist gelaufen, und dieser böse Bastard Mankiewicz hat mir gerade den großen Knüller aus der so fein gewirkten Saga für diese Ausgabe entrissen. Mein Hirn ist gefühllos von diesem Wahnwitz. Nachdem ich dreizehn Tage in diesem schmutzverkrusteten Zimmer im obersten Stockwerk des Washington Hilton gesessen habe – und dabei wie im Fieberwahn Nacht für Nacht über die Ereignisse auf der Zielgeraden dieser gottverdammten und jämmerlichen Kampagne geschrieben habe –, beginne ich mich zu fragen, was in Gottesnamen in mich gefahren ist, dass ich mich überhaupt hierherbegeben habe. Welcher Wahnsinn lockte mich, diesen stinkenden Sumpf von Stadt je wieder zu betreten?
Bin ich schon politiksüchtig geworden? Das ist keine erfreuliche Vorstellung – besonders wenn ich mir vor Augen führe, wie es all den anderen ergangen ist. Nach zwei Wochen in Woody Creek kam mir der Weg ins Presseflugzeug vor wie die freiwillige Rückkehr auf die Krebsstation. Einige der besten Leute im Pressekontingent sahen physisch derart ausgepowert aus, dass es wehtat, sie nur anzusehen, geschweige denn mit ihnen dazustehen und Small Talk zu machen.
Viele erweckten den Eindruck, als befänden sie sich im Endstadium der Kampagnen-Blähsucht, einer schauerlichen Verfettung, die angeblich irgendwie mit mangelndem Adrenalinausstoß zu tun haben soll. Die Schwellungen beginnen innerhalb von vierundzwanzig Stunden nachdem das Opfer zum ersten Mal den Verdacht geschöpft hat, die Kampagne sei im Grunde bedeutungslos. Zu diesem Zeitpunkt wird der gesamte Adrenalinvorrat des Körpers vom Magen aufgesogen, und nichts, was irgendeiner der Kandidaten sagt oder tut oder ausstrahlt, vermag das Adrenalin wieder zu aktivieren … und ohne Adrenalin beginnt das Fleisch aufzuschwemmen; die Augen füllen sich mit Blut und werden zu Schlitzen im Gesicht, die Wangen schwemmen auf, das Fleisch im Nacken legt sich in schürzenähnliche Fettfalten, und der Bauch schwillt an wie die Kehle eines Frosches … das Hirn füllt sich mit giftigen Körpersäften, die Zunge reibt sich an den Backenzähnen wund, und die wichtigsten Wahrnehmungsantennen verkrümeln sich wie Haare über den Flammen eines Lagerfeuers.
Ich würde gern glauben, es sei die Kampagnen-Blähsucht, die dieser höllischen Paranoia zugrunde liegt, die jedes Mal, wenn ich versuche, ernsthaft über Präsidentschaftspolitik zu schreiben, in mir aufsteigt und mir die klare Sicht nimmt.
Aber ich glaube nicht, dass es das ist. Der wahre Grund, so argwöhne ich jedenfalls, besteht darin, mit der Vorstellung leben zu müssen, dass Richard Nixon mit größter Wahrscheinlichkeit wiedergewählt und für weitere vier Jahre Präsident der Vereinigten Staaten sein wird. Sollten die aktuellen Meinungsumfragen verlässlich sein – und auch wenn sie es nicht sind, macht doch die immense Differenz die tatsächlichen Zahlen unerheblich –, so wird Nixon von einer riesigen Mehrheit von Amerikanern wiedergewählt werden, die das Gefühl haben, er sei
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