Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
Fersen zu bleiben.
Die Szene am Tor hatte mich so sehr aus der Fassung gebracht, dass ich, als ich aus meinem Taxi stieg, nicht in der Lage war, die Tür zu finden, an die zu klopfen man mich angewiesen hatte. Und als ich es endlich nach drinnen geschafft hatte, war ich nicht in der Verfassung, mich mit Jimmy Carter und seiner ganzen Familie in der angemessenen Weise zu befassen. Ich hatte ihn nicht einmal erkannt, als er mich an der Tür begrüßte. Alles, was ich wahrnahm, war ein Mann mittleren Alters, der Levi’s-Jeans trug und mich in den Speisesaal geleitete, wo ich darauf bestand, mich erst einmal eine Weile hinzusetzen, bis ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte.
Was mir dann allerdings als Erstes auffiel, war Carters entspannte und souveräne Art im Umgang mit Ted Kennedy. Der Kontrast zwischen beiden war so frappierend, dass ich bis heute nicht verstehe, weshalb in Bezug auf Jimmy Carter immer wieder von einer »geradezu gespenstischen Ähnlichkeit« mit John F. Kennedy gesprochen wird. Mir ist eine solche nie aufgefallen – außer vielleicht hin und wieder auf irgendwelchen Fotos, die mit großem Aufwand hingebogen wurden, um einen solchen Effekt zu erzielen –, und wenn es je eine Gelegenheit gab, wo diese Ähnlichkeit hätte unübersehbar sein sollen, dann an jenem Morgen im Speisesaal der Gouverneursresidenz in Atlanta, als Ted Kennedy und Jimmy Carter gerade mal anderthalb Meter voneinander entfernt am gleichen Tisch saßen.
Kennedy, der mit seiner schieren Präsenz normalerweise jeden Raum beherrscht, den er betritt, saß in seinem dunkelblauen Anzug und seinen schwarzen Schuhen einfach nur steif da und machte den Eindruck, als würde er sich nicht ganz wohl in seiner Haut fühlen. Er warf mir einen kurzen Blick zu, als ich den Raum betrat, lächelte schwach und richtete seinen Blick wieder auf ein Porträt an der gegenüberliegenden Wand. Neben ihm saß, ebenfalls in einem dunkelblauen Anzug und schwarzen Schuhen, Paul Kirk, sein Großwesir, während Jimmy King, sein Ausputzer, in einer entfernten Ecke des Raumes stand und etwas in einen Telefonhörer brüllte. Darüber hinaus waren noch etwa fünfzehn andere Leute im Raum, die meisten von ihnen in anscheinend ganz amüsante Unterhaltungen verstrickt, und es dauerte eine Weile, bis mir auffiel, dass sich niemand mit Kennedy unterhielt – was höchst ungewöhnlich war, vor allem in einer Umgebung, die sich aus Politikern beziehungsweise politisch Interessierten zusammensetzt.
Kennedy war an jenem Morgen ganz offensichtlich nicht in Plauderlaune, und es sollte noch über eine Stunde dauern, bis ich im Anschluss an eine Vollgasfahrt nach Athens in einem Secret-Service-Wagen, in den ich zusammen mit King, Kirk und Kennedy verfrachtet worden war, den Grund dafür erfuhr. Die Stimmung im Wagen war finster. Kennedy brüllte den Fahrer zusammen, als dieser eine Ausfahrt verpasste und sich abzeichnete, dass wir zu spät für die Enthüllung dran sein würden. Als wir schließlich eintrafen und ich die Gelegenheit hatte, ein paar private Worte mit Jimmy King zu wechseln, erklärte der mir, dass Carter bis zum buchstäblich letzten Augenblick – just als ich in der Residenz aufgetaucht war – damit gewartet hatte, Kennedy darüber zu informieren, dass er sich wegen plötzlicher Änderungen seiner eigenen Pläne außerstande sehe, Teddy seinen Privatjet für den Ausflug nach Athens zu leihen. Das war der Grund für die angespannte Atmosphäre, die ich bei meinem Auftauchen in der Residenz ansatzweise mitbekommen hatte. King hatte sich sofort mit der Fahrbereitschaft des Secret Service in Verbindung gesetzt und zwei Wagen zur Residenz bestellt, doch schon bei deren Eintreffen hatte sich abgezeichnet, dass wir es nicht rechtzeitig zur Enthüllung des Porträts schaffen würden – was mir total schnurz war, doch Kennedy sollte aus diesem Anlass eine Rede halten, und er war über die ganze Entwicklung reichlich sauer.
Ich weigerte mich strikt, an einer Zeremonie zur Ehrung eines Kriegstreibers wie Rusk teilzunehmen, und erklärte King, ich würde mir in der Nähe des Campus eine Bar suchen und mich zum Law Day Lunch wieder mit ihnen in der Cafeteria der Fakultät treffen … Er war alles andere als unglücklich darüber, dass ich mich aus dem Staub machte, hatte ich doch in den drei oder vier Minuten seit unserem Eintreffen bereits ein halbes Dutzend Leute beleidigt. Etwa zehn Minuten Fußweg entfernt fand ich eine Bierpinte, in der ich mich
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