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Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Titel: Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter S. Thompson
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aus dem Polo-Geschehen aus, verzog mich in mein Zimmer und konzentrierte mich auf die Footballspiele im Fernsehen. Die Telefone stellte ich ab und ging nicht an die Tür, wenn jemand klopfte. Harriman hatte gegen Mitternacht eine Nachricht hinterlassen und wollte mich vor Spielbeginn an der Box treffen. Seine Ansage war seltsam abgehackt, was ich seiner Müdigkeit zuschrieb. Ich wusste, dass seltsame, düstere Dinge in ihm vorgingen – und für Football hatte er ohnehin nichts übrig. Scheiß auf ihn, dachte ich. Er ist verrückt. Morgen würde das große Spiel sein, und ich spürte, wie ich immer aufgedrehter wurde.
    V
    Schon konnte ich den Leitartikel vor mir sehen: Vor der Kulisse eines grauen Septemberhimmels ritten die Vier Reiter der Apokalypse wieder. Im Buch der Offenbarung waren es Hunger, Pest, Zerstörung und Tod … Aber dies waren nur ihre Pseudonyme: An diesem fiebrigen Nachmittag im trüben grauen Smog von Long Island hießen sie Memo, Carlos, Tiger und Doug.
    Eine Menge von etwa fünftausend Leuten hatte sich versammelt, um Zeuge des Meisterschaftsspiels zu sein. Wir kamen frühzeitig an, aber nicht früh genug. Das Feld hatte sich in Matsch verwandelt, und auf dem schlammigen Weg zum VIP-Eingang drehten die Reifen der Limousinen durch. Betrunkene, die keinen Eintritt bezahlen wollten, lieferten sich dort Kämpfe mit der Polizei.
    »Verschwinde von hier, du Dreckskerl«, rief ein Polizist, der gerade nicht im Dienst war. »Wenn du Ärger willst, kannst du ihn haben.« Er schlug auf einen der Betrunkenen mit einer Taschenlampe ein, sodass sich die anderen zurückzogen. Ich steuerte den großen Lincoln durch den Eingang, die Reifen drehten sich bei niedrigem Gang und bespritzten die Menge am Tor mit Hahnenschwänzen von Dreck.
    »Fahr weiter«, sagte Tobias. »Nur nicht langsamer werden.«
    Hinter uns war großes Geschrei zu hören, ich hörte, wie jemand in eine Trillerpfeife blies. Dann schaltete ich die Scheibenwischer an und steuerte vorsichtig auf einen Punkt zwischen den Pferdeanhängern der Gracida-Brüder zu. Das Spiel würde jeden Moment losgehen. Ich bemerkte Carlos, der alleine im Regen stand und ausdruckslos auf das Spielfeld starrte, wo eine Blaskapelle aufmarschierte.
    Ich näherte mich ihm ganz ruhig und wünschte ihm viel Glück. »Keine Angst«, sagte ich heiter. »Wir werden nicht verlieren. Die stecken wir in die Tasche. Das läuft.«
    »Wie bitte?«, blaffte er. »Wovon redest du?«
    Er schien nervös zu sein, und so zog ich meine Geldbörse heraus und gab ihm einen 100-Dollar-Schein. »Nimm das, als Glücksbringer«, sagte ich. »Heute ist ein wunderbarer Tag für die Homeboys, stimmt’s? Ja, mein Herr, wir sind Champions .«
    Er nickte und ging weiter zu seinem Pferd, das bereits wartete. Ein Signalhorn war zu hören, und die Menge jubelte. Der magische Moment war gekommen. Die Spieler galoppierten auf das Feld und hielten ihre Schläger in die Höhe wie Krieger, die in die Schlacht ziehen.
    Es gab an diesem Tag keinen einzigen freien Sitzplatz. Die Haupttribünen auf beiden Seiten quollen über vor den Angehörigen der Crème de la Crème der internationalen Polo-Society. Das Turnier lief seit drei Wochen in Greenwich und Long Island, und einige Ereignisse hatten bereits den einen oder anderen Schock ausgelöst. Die meisten Favoriten waren ausgeschaltet worden: die Black Bears aus der Schweiz, ebenso die als klare Favoriten gehandelten menschlichen Pfaue von Ellerston White, jenen Betrügern, die der Stolz Australiens waren. Auch die gesamte Aristokratie des amerikanischen Polo war vernichtet worden: Pegasus, Revlon und selbst die glamourösen Spitzenreiter mit den weißen Hüten von der Calumet-Farm aus Kentucky. Die schwarzen Hüte hatten in beiden Klassen gesiegt, doch nur einer würde den heiß umkämpften finalen Test überstehen. Die einzige Truppe, die noch zwischen meinen Homeboys und dem Sieg stand, war jene, die Harriman »die arroganten kriminellen Schweine von White Birch« nannte.
    Harriman hatte ein Talent für blumige Ausschmückungen, und seine zynischen, von Zorn befeuerten Gefühle wurden von den Stützen des Polo-Establishments sogar weitgehend geteilt. Viele der ältesten und mächtigsten amerikanischen Inzest-Familien fühlten sich von einem Spektakel gedemütigt, das in ihren Augen aus »zwei Banden von Knastbrüdern« bestand, die in aller Öffentlichkeit mit Holzhämmern den Spitzenpreis des U.S. Polo unter sich ausmachen würden. »Wer sind diese

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