Die Romanow-Prophezeiung
Emotionalität mit, die sich sowohl akustisch als auch optisch perfekt übertrug. Hayes war noch stärker beeindruckt.
»Ich behaupte nicht, dass Nikolaus II. fehlerlos war. Er war ein eigensinniger Autokrat, der den Sinn seiner Stellung aus den Augen verloren hatte. Wir wissen inzwischen, dass sein Urteilsvermögen durch die Überzeugungen seiner Frau getrübt war und dass die Tragödie seines Sohnes beide verletzlich machte. Alexandra war in vieler Hinsicht eine gesegnete Frau, aber sie war auch töricht. Sie ließ sich von Rasputin beeinflussen, einem Mann, der ansonsten nahezu einhellig als reiner Opportunist verachtet wurde. Die Geschichte ist eine gute Lehrmeisterin, und deshalb sage ich Ihnen: Ich werde diese Fehler nicht wiederholen. Unsere Nation kann sich keine schwache Führung leisten. Unsere Straßen müssen sicher werden, und die Rechtsprechung und die Regierung müssen auf die Wahrheit und das Vertrauen des Volkes bauen. Nur so kann dieses Land vorankommen.«
»Das klingt so, als hätten Sie sich bereits selbst zum Zar gewählt«, bemerkte das Kommissionsmitglied, das zuvor schon die kritischen Fragen gestellt hatte.
»Meine Geburt hat diese Entscheidung getroffen. Ich habe in dieser Angelegenheit kein Mitspracherecht. Der russische Thron gehört den Romanows. Das ist eine unbestreitbare Tatsache.«
»Aber hat Nikolaus nicht im eigenen Namen und im Namen seines Sohnes Alexej abgedankt?«
»Er selbst gewiss. Doch ich bezweifle, dass er auch im Namen seines Sohnes Alexej abdanken konnte, und hier dürfte die Jurisprudenz mir Recht geben. Als Nikolaus im März 1917 auf den Thron verzichtete, wurde sein Sohn automatisch Alexej II. Sein Vater hatte nicht das Recht, seinem Sohn den Thron wegzunehmen. Der Thron gehört jenen Romanows, die aus derselben Blutlinie wie Nikolaus II. stammen, und ich bin sein nächster lebender männlicher Verwandter.«
Hayes war von Baklanows Darstellung sehr angetan. Der Mann wusste genau, was zu sagen war und wann. Dabei formulierte er seine Ankündigungen so geschickt, dass niemand sich gekränkt f ühlen konnte.
Stefan I. würde einen ausgezeichneten Zaren abgeben.
Vorausgesetzt, er befolgte B efehle ebenso gut, wie er sie erteilen wollte.
33
13.10 Uhr
Lord warf einen Blick auf Akilina. Sie saßen auf der linken Seite einer United Airlines L1011, dreizehntausend Meter über der Wüste Arizonas. Um fünf nach zwölf hatte ihr Flugzeug abgehoben, und nach fünf Stunden Flug und einer dreistündigen Zeitverschiebung würden sie kurz nach 14 Uhr in San Francisco landen. In den letzten vierundzwanzig Stunden hatte Lord die Erde zu drei Vierteln umrundet, doch er war froh, wieder auf – oder genauer gesagt über – amerikanischem Boden zu sein, selbst wenn er nicht recht wusste, wie sie in Kalifornien vorgehen sollten.
»Sind Sie immer so rastlos?«, fragte Akilina auf Russisch.
»Normalerweise nicht. Aber derzeit ist nichts normal.«
»Ich möchte Ihnen etwas erzählen.«
In ihrer Stimme schwang eine gewisse Schärfe mit.
»Ich war vorhin nicht ganz ehrlich zu Ihnen … vorhin in Ihrer Wohnung.«
Er war verblüfft.
»Sie fragten, ob es jemand Besonderen in meinem Leben gäbe, und ich verneinte. Doch tatsächlich gab es einmal jemanden.«
In ihr Gesicht trat ein angespannter Zug, und er fühlte sich zu einer beschwichtigenden Bemerkung veranlasst: »Sie sind mir keine Erklärungen schuldig.«
»Ich möchte aber darüber reden.«
Er lehnte sich in seinem Sitz zurück.
»Er hieß Tusja. Ich lernte ihn in der Artistenschule kennen, auf die ich nach der Mittelschule ging. Keiner dachte je daran, dass ich ein Studium beginnen könnte. Mein Vater war Artist, und man erwartete von mir, dass ich in seine Fußstapfen trat. Tusja war Akrobat. Er war gut, aber nicht gut genug. Nach der Schule wurde er nicht zur Artistenlaufbahn zugelassen. Aber trotzdem wollte er, dass wir heiraten.«
»Was kam dazwischen?«
»Tusjas Familie lebte im Norden, nahe der sibirischen Ebene. Da er kein Moskauer war, wären wir gezwungen gewesen, bei meinen Eltern zu wohnen, bis wir uns eine eigene Wohnungserlaubnis verschaffen konnten. Das bedeutete, dass wir ihre Einwilligung brauchten, damit wir heiraten und zusammen in Moskau wohnen konnten. Meine Mutter lehnte ab.«
Er war überrascht. »Warum denn?«
»Damals war sie schon völlig verbittert. Mein Vater war noch im Arbeitslager. Sie grollte ihm deswegen, aber mehr noch, weil er Russland verlassen wollte. Sie sah das Glück in
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