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Die Romanow-Prophezeiung

Die Romanow-Prophezeiung

Titel: Die Romanow-Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: berry
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wieder herausströmten, reichlich schwermütig.
    Die Metro war in den Dreißigerjahren als Stalins Vorzeigeobjekt gebaut worden – ein protziges Unterfangen, das die Errungenschaften des Sozialismus in Form des umfangreichsten und längsten Tunnelsystems in der Geschichte der Menschheit vor aller Welt demonstrieren sollte. Die einzelnen Stationen dieser Untergrundbahn stellten wahre Kunstwerke dar und waren großzügig mit Stuckverzierungen, neoklassizistischen Marmorpfeilern, Kronleuchtern, Gold und Glas verziert worden. Niemand hatte damals nach den Kosten für Bau oder Unterhalt gefragt. Der Preis für diesen Größenwahn war nun ein unverzichtbares Nahverkehrssystem, das Jahr für Jahr Milliarden Rubel verschlang, während die Einnahmen sich nur auf ein paar Kopeken pro Fahrt beliefen.
    Jelzin und seine Nachfolger hatten versucht, die Fahrpreise zu erhöhen, aber die öffentliche Empörung war so gewaltig gewesen, dass sie klein beigegeben hatten. Genau das war der Fehler gewesen, dachte Hayes. Zu viel Populismus für ein so wankelmütiges Volk wie die Russen. Ob einer das Richtige tat oder nicht, war im Grunde zweitrangig, mangelnde Entschlossenheit aber war tödlich. Hayes war fest davon überzeugt, dass die Russen ihre Führung weit mehr respektiert hätten, wenn diese die Fahrpreise einfach erhöht und jeden öffentlichen Protest mit Waffengewalt niedergeschlagen hätte. Das war die Lektion, die viele russische Zaren und kommunistische Ministerpräsidenten nie richtig gelernt hatten, am wenigsten Nikolaus II. und Michail Gorbatschow.
    Hayes trat von der Rolltreppe und folgte der Menge durch schmale Türen hinaus in den frischen Nachmittag. Er befand sich nördlich der Moskauer Innenstadt, jenseits der chronisch überlasteten vierspurigen Straße, die ringförmig um das Zentrum verlief und ironischerweise Gartenring hieß. Die U-Bahn-Station hier – ein heruntergekommener, ovaler Flachdachbau aus Backstein und Glas – war keines jener Vorzeigeobjekte Stalins. Überhaupt hatte die ganze Gegend nicht die geringste Chance, in einen Reiseführer aufgenommen zu werden. Am Eingang der Station reihten sich ausgemergelte Männer und Frauen mit verfilztem Haar, grauer Haut und übel riechenden Kleidern, die von Toilettenartikeln über Raubkopien von CDs bis hin zu getrocknetem Fisch alles Mögliche verhökerten, um ein paar Rubel oder noch besser US-Dollar zu ergattern. Er fragte sich oft, ob tatsächlich jemand die verschrumpelten, salzigen Fischkadaver kaufte, die fast noch schlimmer aussahen, als sie rochen. Das einzige Gewässer, das in erreichbarer Nähe zum Fischen einlud, war die Moskwa, und nach allem, was Hayes über die sowjetischen und russischen Müllentsorgungsmethoden wusste, käme dabei wohl noch ganz anderes als nur Fisch auf den Teller.
    Ganz in Gedanken knöpfte er seinen Mantel zu, schob sich zwischen anderen Passanten den holprigen Gehsteig entlang und bemühte sich, so unauffällig wie möglich zu wirken. Er hatte seinen Anzug gegen eine olivgrüne Cordhose, ein dunkles Baumwollhemd und schwarze Turnschuhe ausgetauscht. Wer auch nur andeutungsweise etwas wie westliche Kleidung trug, brauchte sich nicht zu wundern, wenn er Probleme bekam.
    Endlich fand er den Klub, den man ihm beschrieben hatte, mitten in einem heruntergekommenen Häuserblock zwischen einer Bäckerei, einem Lebensmittelgeschäft, einem Plattenladen und einer Eisdiele. Keinerlei Plakat wies auf ihn hin, nur ein kleines Schild, das potenziellen Besuchern auf Kyrillisch aufregende Unterhaltung versprach.
    Das Innere war ein schwach beleuchteter rechteckiger Raum. Vergeblich hatte man mit einer billigen Nussbaumvertäfelung versucht, so etwas wie Atmosphäre zu schaffen. In der warmen Luft hing blauer Dunst. Die Mitte des Raums wurde von einem riesigen Labyrinth aus Sperrholz eingenommen. Hayes hatte diese Neuheit zuvor schon im Zentrum in den schickeren Klubs der Neureichen gesehen. Dort waren es neonfarbene Monstrositäten aus Ziegelstein und Marmor, während hier eine Arme-Leute-Version stand, gefertigt aus nackten Brettern und beleuchtet von Neonröhren, die ein kaltes blaues Licht warfen.
    Eine Gruppe von Männern umlagerte das Labyrinth. Es war nicht die Art von Typen, die sich in den feineren Etablissements trafen, um Lachs, Hering und Rote-Bete-Salat zu verspeisen, während bewaffnete Türsteher den Eingang bewachten und in einem Nebenzimmer Tausende von Dollars bei Roulette oder Blackjack den Besitzer wechselten. Schon der

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