Die Romanow-Prophezeiung
Schicksal beschlossen hatte.
Er rief sich Rasputins Vorhersage in Erinnerung, wenn Rasputin von einem Adligen ermordet werde, würden Nikolaus und seine Familie die nächsten zwei Jahre nicht überleben. Unter den Adligen, die nicht zum Geschlecht der Romanows gehörten, hatte Jussupow den höchsten Rang, und seine Frau war eine Nichte des Kaisers. Anscheinend hatte der Starez Recht gehabt.
Doch Jussupow war entschlossen, dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen.
Er schickte Kolja Maks und weitere Männer mit dem Auftrag nach Jekaterinburg, um jeden Preis eine Rettung zu versuchen. Als Maks Zugang zur Wachmannschaft der Zarenfamilie bekam, war Jussupow begeistert. Doch dass Maks dann tatsächlich bei der Hinrichtung zugegen war und Alexej und Anastasia retten, vom Lastwagen schmuggeln und hinterher lebendig im Wald auffinden konnte, war ein Wunder zu nennen. Erstaunlicherweise war Alexej weder von einer Kugel noch von einem Bajonett verletzt worden. Anastasia hatte einen Schädelbruch von dem Gewehrkolbenhieb, den Maks ihr während der Exekutionsprozedur eigenhändig verpasst hatte, war aber ansonsten kaum verletzt, da ihr mit Diamanten und Juwelen bestücktes Korsett sie vor den Schüssen beschützt hatte. Sie hatte Schusswunden im Bein, die aber behandelt werden konnten, sodass sie sich davon erholte und nur ein Hinken zurückbehielt, das ihr für den Rest ihres Lebens blieb.
Maks brachte beide Kinder in eine Hütte westlich von Jekaterinburg. Dort erwarteten ihn schon drei weitere der von Jussupow angeheuerten Männer, Jussupows Befehle waren eindeutig: Bringt die Familie nach Osten. Aber es gab keine Familie mehr. Nur zwei zu Tode geängstigte Halbwüchsige.
In den Tagen nach dem Massaker sprach Alexej kein einziges Wort. Der Junge hockte in einer Ecke der Hütte. Er aß und trank zwar ein wenig, hatte sich aber ansonsten vollkommen in sich zurückgezogen. Später berichtete er, der Anblick, wie seine Eltern erschossen wurden und seine geliebte Mutter an ihrem eigenen Blut erstickte, während man seine Schwestern mit Bajonetten durchbohrte, habe einen Zustand geistiger Lähmung verursacht, und die Kraft, danach weiterzumachen, habe er nur einem Satz zu verdanken, den Rasputin einmal an ihn gerichtet habe:
Du bist die Zukunft Russlands und musst am Leben bleiben.
Er hatte Maks sofort als Wächter am Zarenhof wiedererkannt. Der stämmige Russe hatte Dienst als Träger des Zarewitschs getan, als einer von mehreren Männern, deren Aufgabe darin bestand, den Thronerben auf den Armen zu tragen, wenn seine Beine ihm nach einer Blutung den Dienst versagten. Alexej erinnerte sich daran, wie freundlich Maks mit ihm umgegangen war, und gehorchte widerspruchslos, als dieser ihm auftrug, still liegen zu bleiben.
Es dauerte beinahe zwei Monate, bis die Überlebenden Wladiwostok erreichten. Die Saat der Revolution war auch dort schon aufgekeimt, doch so weit im Osten hatte niemand eine Vorstellung, wie die Romanow-Kinder aussahen. Glücklicherweise hatte der Zarewitsch zu der Zeit nur einen einzigen kleinen Krankheitsanfall.
Jussupow hatte schon Leute losgeschickt, die die Kinder an der russischen Pazifikküste erwarteten. Ursprünglich hatte er vorgehabt, die Zarenfamilie in Wladiwostok zu lassen, bis die Zeit reif war, doch der Sieg im Bürgerkrieg neigte sich immer stärker den Roten zu. Bald würden die Kommunisten das ganze Land beherrschen, Jussupow wusste, was zu tun war.
Ganze Schiffsladungen von Russen wanderten an die amerikanische Westküste aus, wobei San Francisco den wichtigsten Zugangshafen darstellte. Zusammen mit einem russischen Ehepaar, das zu diesem Zweck angeworben worden war, gingen Alexej und Anastasia im Dezember 1918 an Bord eines solchen Schiffes.
Jussupow selbst floh im April 1919 mit seiner Frau und der vierjährigen Tochter aus Russland. In den nächsten achtundvierzig Jahren bereiste er Europa und Amerika. Er schrieb ein Buch und schützte gelegentlich seinen Ruf mit Beleidigungs- und Verleumdungsklagen, wenn er sich in einem Film oder Manuskript als ungerecht dargestellt empfand. Öffentlich blieb er ein stolzer, trotziger Rebell, der darauf beharrte, mit der Ermordung Rasputins die den Umständen angemessene Maßnahme ergriffen zu haben. Er lehnte alle Schuld an dem, was danach geschehen war, ab und akzeptierte keinerlei Mitverantwortung für Russlands Schicksal. Privat sah die Sache jedoch anders aus. Er schäumte, als Lenin und später Stalin an die Macht kamen. Zwar hatte er
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