Die Romanow-Prophezeiung
Sie bitte eine Konferenzschaltung daraus.«
»Ich drücke gerade die Schalter.«
Ein paar Sekunden später war er mit Hayes verbunden. »Miles, wo sind Sie?«
Lord brauchte ein paar Minuten, um alles zu erklären. Hayes hörte ihm schweigend zu und sagte dann: »Sie erzählen mir gerade, dass der Thronerbe der Romanows neben Ihnen sitzt?«
»Haargenau.«
»Haben Sie keine Zweifel?«
»Ich persönlich nicht. Aber mit einem DNA-Test kann man die Sache abschließend klären.«
»Miles. Hören Sie mir gut zu. Ich möchte, dass Sie an Ort und Stelle bleiben. Verlassen Sie die Stadt nicht. Und jetzt sagen Sie mir genau, wo Sie im Moment sind.«
Hayes gab ihm die Adresse.
»Bleiben Sie in Ihrer Pension. Ich bin morgen Nachmittag da. Ich nehme den ersten Flug von Moskau nach New York. Wir müssen hier vorsichtig vorgehen. Sobald ich vor Ort bin, kontaktieren wir das Außenministerium und wen wir sonst noch so brauchen. Ich nehme unterwegs schon einmal Verbindung mit den richtigen Leuten auf. Von jetzt an kümmere ich mich um die Sache. Haben Sie das verstanden?«
»Jawohl.«
»Das hoffe ich sehr. Ich bin stinksauer, dass Sie mich erst jetzt anrufen.«
»Die Telefone werden vielleicht abgehört. Selbst jetzt habe ich Bedenken.«
»Dieses Telefon hier ist sauber. Das garantiere ich Ihnen.«
»Tut mir Leid, dass ich mich nicht gemeldet habe, Taylor. Aber ich hatte keine Wahl. Ich erkläre es Ihnen, wenn Sie hier sind.«
»Ich kann es kaum erwarten. Und gehen Sie jetzt erst einmal schlafen. Wir sehen uns morgen.«
45
Donnerstag, 21. Oktober
9.40 Uhr
Lord fuhr den Weg, den Michael Thorn ihm wies. Der Anwalt saß auf dem Rücksitz des Jeep Cherokee, den Lord gestern am Flughafen von Asheville gemietet hatte. Akilina saß neben Lord auf dem Beifahrersitz.
Lord und Akilina hatten eine schlaflose Nacht im Azalea Inn verbracht, nachdem das Zusammentreffen mit Thorn sie zutiefst aufgewühlt hatte. Lord hegte nicht den geringsten Zweifel, dass der Mann mittleren Alters mit der beginnenden Glatze, der mit seinen sanften, grauen Augen hinter ihm saß, der Erbe des Romanow-Throns war. Wer sonst hätte die genaue Antwort auf Jussupows Rätsel kennen können? Ganz davon abgesehen, dass er den goldenen Klöppel besaß, der die Glocke erst zu einer solchen machte. Er hatte alle Bedingungen erfüllt, die Jussupow als Beweis seiner Identität verlangt hatte. Heutzutage konnte die Wissenschaft zudem einen zweifelsfreien Beweis in Form eines DNA-Tests liefern, den die Zarenkommission mit Sicherheit anordnen würde.
»Bieg hier ein, Miles«, sagte Thorn.
Nach einem zweistündigen Gespräch und dem Anruf bei Taylor Hayes waren sie am Vorabend zum vertraulichen Du übergegangen. Beim Frühstück hatte Thorn sie gefragt, ob sie gerne die Gräber sehen wollten. Lord dachte zwar an Hayes’ Anweisung, die Pension nicht zu verlassen, hielt einen kurzen Ausflug aber für unproblematisch, und so waren sie von Genesis aus ein paar Meilen nach Süden gefahren und in eine wunderschöne Talmulde gelangt, die mit golden und kupferfarben leuchtenden Bäumen bewachsen war. Der Tag war sonnig und klar. Wie ein himmlisches Vorzeichen, dass alles sich fügen werde, dachte Lord.
Aber war das zu erwarten?
Hier, in diesem abgelegenen Winkel der Appalachen, die vor allem für den gesunden Menschenverstand ihrer Bewohner und nebelverhangene, blaue Bergketten bekannt waren, lebte der »Zar von ganz Russland«. Ein Provinzrechtsanwalt, der an der University of North Carolina das College besucht und im nahe gelegenen Duke Jura studiert hatte. Sein Studium hatte er mit einem Studentendarlehen und Teilzeitjobs finanziert, die auch halfen, seine Frau und zwei Kinder zu ernähren.
Thorn hatte ihnen seine ganze Lebensgeschichte erzählt. Sie hatten ein Anrecht darauf. Nach dem Examen war er nach Genesis zurückgekehrt und hatte hier die letzten vierundzwanzig Jahre als Rechtsanwalt gearbeitet, nachdem er ein Büro eröffnet und auch das Schild vor der Tür nicht vergessen hatte, damit jeder seinen Namen sah. Das hatte zu Jussupows Anweisungen gehört, um die richtige Spur zu legen. Natürlich hatte der merkwürdige kleine Russe sich nicht träumen lassen, dass es Computer, Satellitenkommunikation und das Internet geben würde, sodass man jemanden in einer Welt, die so klein geworden war, dass es kaum noch versteckte Orte gab, mit einem Mausklick finden konnte. Und doch hatten Kolja Maks und Thorns Vater sich, genau wie Thorn selbst, an Jussupows
Weitere Kostenlose Bücher