Die Romanow-Prophezeiung
bekommen. Allein im vergangenen Jahr haben fünfhundert Frontoffiziere Selbstmord begangen. Eine Armee, die einst die Welt erschütterte, droht heute in Bedeutungslosigkeit zu versinken. Unsere Regierung hat den gesamten militärischen Komplex verkümmern lassen. Ich bezweifle, Eure Heiligkeit, dass auch nur eine einzige unserer Raketen abschussbereit ist. Diese Nation ist nicht mehr in der Lage, sich zu verteidigen. Unser Glück ist nur, dass es noch niemand gemerkt hat.«
Der Patriarch dachte über das Gesagte nach. »Und wie könnte meine Kirche bei den künftigen Veränderungen behilflich sein?«
»Der Zar wird die volle Unterstützung der Kirche brauchen«, erklärte Lenin.
»Die hätte er doch ohnehin.«
»Mit voller Unterstützung meine ich alles, was nötig sein wird, um die öffentliche Meinung unter Kontrolle zu halten. Die Presse muss frei sein, zumindest im Prinzip, und die Bevölkerung muss das Recht haben, in einem gewissen Rahmen abweichende Meinungen zu äußern. Die ganze Idee der Wiedereinsetzung eines Zaren soll doch auf einen Bruch mit der repressiven Vergangenheit hinauslaufen. Die Kirche könnte einen wertvollen Beitrag leisten, um auf lange Sicht für eine stabile Regierung zu sorgen.«
»Eigentlich geht es Ihnen doch darum, dass einige Ihrer Verbündeten die Kritik der Kirche fürchten. Ich bin nicht ganz ahnungslos, General. Ich weiß, dass auch die Mafija zu Ihrer Gruppe gehört. Ganz zu schweigen von den Blutsaugern aus der Regierung, die keinen Deut besser sind. Gegen Sie, Herr General, ist nichts einzuwenden, aber Sie befinden sich da in ganz schön übler Gesellschaft.«
Hayes wusste, dass der alte Mann Recht hatte. Die Minister der Regierung standen fast alle entweder auf der Gehaltsliste der Mafija oder auf der der Neureichen, und kein öffentlicher Auftrag wurde ohne Bestechungsgelder vergeben. »Wären die Kommunisten Ihnen lieber?«, fragte er.
Der Patriarch wandte sich ihm zu. »Was versteht denn ein Amerikaner von diesen Dingen?«
»Mit meinem Wissen über dieses Land verdiene ich seit vielen Jahren mein Geld. Ich vertrete eine bedeutende Gruppe amerikanischer Investoren – Unternehmen, für die es um Milliarden geht. Unternehmen, die auch Ihren Gemeinden beträchtliche Summen zukommen lassen könnten.«
Auf dem bärtigen Gesicht des alten Mannes zeichnete sich ein fröhliches Grinsen ab. »Amerikaner glauben immer, dass sich mit Geld alles kaufen lässt.«
»Ist es nicht so?«
Adrian trat an eines der kunstvoll verzierten Grabmäler heran, die Hände fest zusammengepresst, seinen beiden Gästen den Rücken zugewandt. »Ein viertes Rom.«
»Wie bitte?«, fragte Lenin.
»Ein viertes Rom. Darauf läuft Ihr Vorschlag doch hinaus. Zur Zeit Iwans des Großen hatte Rom, der Sitz des ersten Papstes, bereits an Bedeutung verloren. Dann fiel auch noch Konstantinopel, wo der Papst der Ostkirche residierte. Danach rief Iwan Moskau zum dritten Rom aus. Der letzte Ort auf Erden, wo Kirche und Staat eine politische Einheit bildeten – unter seiner Führung natürlich. Er sagte voraus, dass es nie ein viertes geben werde.«
Der Patriarch drehte sich wieder zu ihnen um.
»Iwan der Große heiratete die letzte byzantinische Prinzessin, um sein Russland mit ihrem byzantinischen Erbe sichtbar zu vereinen. Nachdem Konstantinopel im Jahr 1453 an die Türken gefallen war, rief er Moskau zum säkularen Zentrum der christlichen Welt aus. Das war ein kluger Schachzug, der es ihm ermöglichte, sich selbst zur Personifikation des ewigen Bundes zwischen Kirche und Staat zu erklären und somit zu einer Art Stellvertreter Gottes auf Erden. Seit Iwan galt deshalb jeder Zar als von Gott eingesetzt, und die Christen hatten ihm zu gehorchen. Eine theokratische Autokratie, die die Kirche und die herrschende Dynastie zu einer Einheit zusammenschweißte. Das hat vierhundertfünfzig Jahre lang gut funktioniert, bis die Kommunisten Nikolaus II. ermordeten und die Einheit von Staat und Kirche auflösten. Und jetzt soll alles wieder so werden wie vorher?«
Lenin lächelte. »Aber diesmal, Eure Heiligkeit, wird die Verbindung sehr umfassend sein. Wir schlagen eine Vereinigung aller Parteien vor, die Kirche eingeschlossen. Eine gemeinsame Kraftanstrengung, um unser kollektives Überleben zu sichern. Wie Sie schon sagten, ein viertes Rom.«
»Einschließlich der Mafija ?«
Lenin nickte. »Wir haben keine andere Wahl. Ihr Einfluss ist einfach zu groß. Vielleicht lässt die Mafija sich ja im Laufe der Zeit
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