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Die Romanow-Prophezeiung

Die Romanow-Prophezeiung

Titel: Die Romanow-Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: berry
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angetan von der Entwicklung, und überraschenderweise unterstützten gerade auch die jungen Russen die Schaffung einer modernen Monarchie. Der typische Russe schien sich eine Nation mit großen Ambitionen zu wünschen. Lord aber fragte sich, ob eine Autokratie im einundzwanzigsten Jahrhundert überhaupt noch funktionieren konnte. Dafür sprach seiner Ansicht nach allenfalls, dass Russland das vielleicht einzige Land auf der Erde war, in dem eine Monarchie tatsächlich eine Chance hatte.
    Aber das interessierte ihn im Augenblick nur am Rande.
    In ein Hotel konnte er nicht gehen. Jedes lizenzierte Etablissement musste nach wie vor Nacht für Nacht eine Liste der bei ihm registrierten Gäste abliefern. Zug oder Flugzeug kamen auch nicht in Frage, denn Bahnhöfe und Flughäfen wurden mit Sicherheit überwacht. Ein Auto zu mieten war ohne russische Fahrerlaubnis nicht möglich, und ebenso wenig konnte er einfach ins Wolchow spazieren. Er saß in der Falle; das ganze Land war sein Gefängnis. Irgendwie musste er in die amerikanische Botschaft gelangen. Dort saßen Leute, die ihm zuhören würden. Aber er konnte nicht einfach dort anrufen. Wer auch immer die Telefone im Wolchow überwachte, würde sicher auch ein Ohr an den Leitungen haben, die in die Botschaft führten. Er brauchte jemanden, der an seiner Stelle den Kontakt aufnahm, und einen Ort, an dem er bis dahin untertauchen konnte.
    Noch einmal warf er einen Blick auf die Zeitung und bemerkte eine Anzeige. Sie warb für den Zirkus, kündigte für jeden Abend um sechs Uhr Vorstellungen an und versprach den Besuchern beste Unterhaltung für die ganze Familie.
    Er sah auf die Uhr. Siebzehn Uhr fünfzehn.
    Dann dachte er an Akilina Petrowa. Ihr zerzaustes blondes Haar und ihr koboldhaftes Gesicht. Sie hatte ihn mit ihrem Mut und ihrer Geduld schwer beeindruckt. Er verdankte ihr sein Leben. Sie hatte noch seine Aktentasche und sie hatte ihm angeboten, er könne sie jederzeit abholen.
    Warum also nicht?
    Plötzlich kam ihm ein ernüchternder Gedanke. Er war auf dem Weg zu einer Frau, damit diese ihm aus einer verzwickten Situation half.
    Genau wie sein Vater.
    19
    Dreifaltigkeitskloster des Hl. Sergij Sergijew
    Possad
    17.00 Uhr
     
    Achtzig Kilometer nordöstlich von Moskau befand sich Hayes auf dem Weg zu Russlands heiligster Stätte. Ihre Geschichte war ihm vertraut. Die Festung mit ihrem unregelmäßigen Grundriss hatte sich erstmals im vierzehnten Jahrhundert über die Wälder der Umgebung erhoben. Hundert Jahre später hatten dann Tataren die Zitadelle belagert und schließlich geplündert. Im siebzehnten Jahrhundert hatten die Polen vergeblich versucht, die Wälle des Klosters zu stürmen. Peter der Große hatte hier während eines Aufstands in den frühen Jahren seiner Herrschaft Zuflucht gefunden. Und nun war es ein Pilgerort für Millionen russisch-orthodoxer Christen, der ihnen so heilig war wie der Vatikan den Katholiken. Hier lag der heilige Sergij in einem silbernen Sarkophag, und die Gläubigen kamen aus dem ganzen Land angereist, nur um einmal sein Grab zu küssen.
    Als Hayes eintraf, wurde das Kloster gerade geschlossen. Er stieg aus dem Wagen, band hastig den Gürtel seines Mantels zu und zog ein Paar schwarze Lederhandschuhe an. Die Sonne war bereits untergegangen, eine weitere Herbstnacht senkte sich übers Land, und die glitzernden Zwiebeltürme mit ihren blauen und goldenen Sternen hoben sich im Dämmerlicht nur noch schwach vom Horizont ab. Ein scharfer Wind heulte und polterte wie Kanonendonner.
    Hayes war in Lenins Begleitung. Die anderen drei Mitglieder der Geheimkanzlei hatten einstimmig beschlossen, dass Hayes und Lenin als Erste an den Patriarchen herantreten sollten. Dieser, so hoffte man, würde vielleicht eher Vertrauen fassen, wenn er sah, dass ein russischer Frontoffizier bereit war, für das Unternehmen seinen guten Ruf aufs Spiel zu setzen.
    Hayes beobachtete den leichenblassen Lenin, der seinen grauen Wollmantel glatt strich und sich einen kastanienbraunen Schal fest um den Hals schlang. Sie hatten auf der Fahrt kaum ein Wort gewechselt, doch beide wussten, was zu tun war.
    Am Haupttor wartete ein schwarz gewandeter Priester mit einem moosartigen Bart, während eine nicht abreißende Prozession von Pilgern zu beiden Seiten an ihm vorbeizog. Der Priester führte sie zwischen dicken Steinmauern hindurch direkt in die Mariä-Himmelfahrts-Kathedrale. Die Kirche war von Kerzen erleuchtet, Schatten flackerten über eine vergoldete Ikonostase

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