Die Romanow-Prophezeiung
Quere, die Ihnen mittlerweile ja bestens bekannt sind.«
»Wie hat er mich gefunden?«
»Er sah Sie und Fräulein Petrowa zusammen und beobachtete, wie Sie vom Zug absprangen. Ein Begleiter von ihm nahm dann Ihre Spur auf und entdeckte Sie in dem Lebensmittelgeschäft, als Sie gerade telefonierten.«
»Und was ist mit meinem Leibwächter?«
»Wir hegten bereits den Verdacht, dass er für die Mafija arbeitet. Jetzt sind wir uns sicher.«
»Darf ich fragen, was ich mit der Sache zu tun habe?«, fragte Akilina.
»Sie haben selbst dafür gesorgt, dass Sie nun damit zu tun haben, meine Liebe.«
»Ich habe für gar nichts gesorgt. Mr. Lord platzte vergangene Nacht in mein Abteil. Das ist alles.«
Paschkow richtete sich in seinem Sessel auf. »Auch ich war neugierig, wie Sie dazu kamen, und so habe ich mir erlaubt, ein paar Erkundigungen über Sie einzuziehen. Wir pflegen gute Kontakte zu Regierungskreisen.«
Akilinas Miene versteinerte. »Ich mag es gar nicht, wenn jemand in meiner Privatsphäre herumschnüffelt.«
»Privatsphäre ist für uns Russen ein Fremdwort, meine Liebe. Wollen wir mal sehen. Sie wurden hier in Moskau geboren. Ihre Eltern ließen sich scheiden, als Sie zwölf waren. Da keiner von beiden im Sowjetstaat eine andere Wohnung genehmigt bekam, waren sie gezwungen, weiterhin zusammenzuleben. Na schön, Ihre Unterkunft war ein wenig besser als der Durchschnitt, da Ihr Vater als Künstler dem Staat von Nutzen war, aber dennoch wird es Spannungen gegeben haben. Übrigens habe ich Ihren Vater mehrmals auftreten sehen. Er war ein wundervoller Akrobat.«
Sie nahm das Kompliment mit einem Kopfnicken entgegen.
»Ihr Vater hatte dann eine Beziehung mit einer Rumänin, die ebenfalls im Zirkus auftrat. Sie wurde schwanger, kehrte aber mit dem Kind nach Hause zurück. Ihr Vater bemühte sich um ein Ausreisevisum, aber die Behörden verweigerten es ihm. Die Kommunisten pflegten ihre Künstler nicht ausreisen zu lassen. Als er versuchte, unerlaubt das Land zu verlassen, wurde er festgenommen und in ein Straflager gebracht.
Ihre Mutter heiratete erneut, ließ sich aber bald wieder scheiden. Als sie nach ihrer zweiten Scheidung keine Wohnung fand – ich weiß noch genau, wie groß die Wohnungsnot damals war –, sah sie sich ein weiteres Mal gezwungen, mit Ihrem Vater zusammenzuleben, der mittlerweile aus dem Lager entlassen worden war. Also vegetierten die beiden in dieser winzigen Wohnung in getrennten Zimmern dahin, bis sie beide eines frühen Todes starben. Das sagt einiges über unsere sozialistische Republik aus, nicht wahr?«
Akilina erwiderte nichts, doch Lord spürte förmlich den Schmerz in ihrem Blick. »Ich lebte bei meiner Großmutter auf dem Land«, erklärte sie Paschkow, »um das Elend meiner Eltern nicht mit ansehen zu müssen. In den letzten drei Jahren habe ich nicht einmal mehr mit ihnen gesprochen. Sie starben verbittert und einsam.«
»Waren Sie dabei, als die Sowjets Ihre Großmutter abholten?«, fragte Paschkow.
Sie schüttelte den Kopf. »Damals war ich schon auf der Artistenschule. Man erklärte mir, sie sei an Altersschwäche gestorben. Die Wahrheit habe ich erst später erfahren.«
»Wenn jemand der lebende Beweis dafür ist, dass sich etwas verändern muss, dann Sie. Alles ist besser als das, was wir hinter uns haben.«
Lord empfand tiefes Mitgefühl für die Frau neben ihm. Er hätte ihr gerne versichert, dass so etwas nie wieder passieren könne, aber das wäre eine Lüge gewesen. Stattdessen fragte er: »Herr Professor, können Sie mir erklären, was hier abläuft?«
Eine Sorgenfalte zog sich über die Stirn des Älteren. »Ja, das kann ich. Haben Sie jemals von der Allrussischen Monarchistischen Versammlung gehört?«, fragte Semjon Paschkow.
Lord schüttelte den Kopf.
»Ich schon«, erklärte Akilina. »Sie wollten wieder einen Zaren einsetzen. Nach dem Ende der Sowjetunion haben sie große Partys gefeiert. Ich habe einen Zeitschriftenartikel über sie gelesen.«
Er nickte. »Ja, sie haben große Feiern abgehalten. Riesige Veranstaltungen, bei denen die Leute als Adlige, Kosaken oder Weißgardisten verkleidet waren – und das alles nur, um Publicity zu bekommen und das Thema des Zarismus in den Herzen und Köpfen der Bevölkerung zu verankern. Man hielt diese Leute damals für Extremisten, aber heute gilt das nicht mehr.«
»Ich bezweifle, dass von dieser Gruppe der Anstoß für die Volksabstimmung kam, die über die Wiedereinführung des Zarismus entschieden
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